Keramik aus der Sammlung Werner Steinecke: Exkurs über die Entwicklungsgeschichte einer Gattungsepoche

Im Museum Kurhaus Kleve befindet sich eine beeindruckende Sammlung an deutscher Keramik aus dem ersten Drittel des 20. Jahrhunderts, die in circa vierzig Jahren durch den Sammler Werner Steinecke aus Bedburg-Hau zusammengetragen und dem Museum und seinem Freundeskreis in mehreren Schritten übergeben worden ist. Um die gesamte Sammlung einzusehen, die bereits online abrufbar ist, kann als Suchbefehl eingegeben werden: „Sammlung Werner Steinecke“.

Zeitlich einzuordnen ist die Sammlung zwischen der Zeit des Jugendstils in Deutschland und den 1920er und 1930er Jahren, wobei ein prägender Einfluss des Bauhauses hervorzuheben ist. Die Sammlung an Keramik besitzt mehrere Schwerpunkte: Die Umbruchzeit um 1900 strahlte auf das Kunsthandwerk stark aus. In allen Bereichen wurde eine neue Ästhetik entwickelt. Die Architektur entfernte sich genauso vom historistischen Nachahmen wie die neuen Möbel, aber eben auch gerade die Keramik. Dort kamen die westeuropäischen Neuentwicklungen schnell an und wurden in das Produkt umgesetzt. Die englische „Arts and Craft“-Bewegung stand dafür genauso Pate wie die zahlreichen französischen Keramikateliers. Zum ersten Mal in der Produktion der lebensnotwendigen Gebrauchsgegenstände konnte durch die industrielle Fertigungsweise sowie für den normalen Haushalt z.B. Geschirr erworben werden, das ganz nah an der modernen Kunst war oder oft auch direkt von berühmten Künstler*innen und Entwerfer*innen stammte. 

Um die neuen Impulse aufzunehmen, wurden Fachschulen für Keramik gegründet, wobei sicherlich Landshut, Höhr und Bunzlau als wichtigste zu nennen sind. Dort wurde zum Teil schon vorweggenommen, was später in der Bauhauswerkstatt ebenfalls Programm war: Nämlich die Vereinigung alter und neuer Techniken zur Weiterentwicklung der künstlerischen Keramik, die auch in großen Stückzahlen und erschwinglich für jedermann und -frau fast industriell hergestellt werden sollte. 

Es gab zwei Amplituden dieser Entwicklung: Die erste lag kurz vor dem Ersten Weltkrieg, die durch die gewaltigen Veränderungen in der Produktion des Kannenbäckerlandes impliziert wurde. In dieser Region wurden massenweise die tradierten Produkte in blaugrauer Salzglasur entweder in völlig neuen Formen und mit nie zuvor gesehenem reliefiertem geometrischem Dekor oder in völlig neuer Farbgebung, meistens im Kölner Braunton, hergestellt.

Die zweite Amplitude hatte eine viel breitere Ausdehnung und erfasste in den Jahren um 1930 nahezu die gesamte Keramikproduktion in Deutschland. Schaut man sich die führenden Entwerfer*innen dieser Jahre an, so entdeckt man immer wieder dieselben circa 25 bis 30 Namen. All diese Namen waren um die Jahrhundertwende geboren, fast alle waren auf eine der allerorten aus dem Boden schießenden Kunsthandwerkerschulen ausgebildet, alle waren mehrere Jahre lang auf der Wanderschaft durch die führenden Keramikwerkstätten jener Zeit gewesen.

Viele der Kunsthandwerker*innen empfanden sich als Allround-Künstler*innen, die in verschiedenen Metiers zuhause waren. Peter Behrens, Richard Riemerschmid, Hans Christiansen, Josef Maria Olbrich, M. Läuger u.v.a. waren als Architekten, Möbelentwerfer, Gartengestalter usw. tätig. Ihre Entwürfe revolutionierten die von der klassischen Töpferkunst tradierten Formen, aber auch deren Dekore. Das Hand-Töpfern und auch das industrielle Formgießen wurde nicht noch einmal neu erfunden, sondern man bediente sich der klassischen Verfahren. Schlicker- und Gießbüchsenmalerei, Ritzdekore, das Arbeiten mit Modeln und Schablonen wurde allerdings im Sinne der Moderne eingesetzt. Dazu kam das für die Massenproduktion erfundene Umdruckverfahren, das die Handmalerei ersetzte und somit die Produktionskosten absenkte.

Die frühe Keramik-Industrie orientierte sich natürlich im künstlerischen Bereich an dem im Bürgertum nachgeäfften höfischen Geschmack der Porzellanmanufakturen und fand erst nach 1900 so etwas wie eine eigene Form- und Dekorsprache. Am Augenfälligsten ist dies bei den Erzeugnissen des Westerwälder Steinzeugs, das mit den Entwürfen ab ca. 1900 die bisherige Produktion völlig veränderte. Neben klassischem Grau-Blau gab es das Kölnischbraun. Die Dekore bestanden oft aus keramischen Auflagen aus modernen Modelformen, wie sie z.B. die klassischen hessischen Töpfereien in Marburg oder in der Werraregion schon lange benutzten.

In einigen anderen Töpferzentren entwickelten sich die Glasuren weiter. Man experimentierte mit verschiedenen Metallbeimischungen, und heraus kamen Lüster- und Überlaufglasuren, die nicht weit entfernt von den französischen, belgischen oder englischen Keramiken jener Zeit waren (Bürgeln, Kandern, Altona u.a.).

Natürlich verliefen diese Umstellungen auf die künstlerische Moderne nicht konsequent. Die Arbeiten Max Läugers, sicher einer der einflussreichsten deutschen Keramiker des 20. Jahrhunderts, zeigen einerseits bei seinen Gießbüchsendekoren ein handwerkliches Traditionsbewusstsein, andererseits bei den plastischen Arbeiten eine konsequent moderne Auffassung. Die Farbigkeit seiner Arbeiten bewegt sich bei seiner Gefäßkeramik bei braun-rotem Scherben, mit vielfarbiger Schlickermalerei, während bei den Plastiken durchscheinende Glasuren bevorzugt werden. Er selbst gehört zu den Keramikern, die ein großes Interesse daran hatten, das Niveau der Töpferkunst zu heben. Am Ende seines Lebens gab er noch ein Werk heraus, das von seinem konservativen ideologischen Gehalt nahe am Denken von Paul von Schultze-Naumburg war. Er versuchte sich noch einmal konsequent als Volkserzieher mit dem Aufzeigen von guter und schlechter Form. Und scheiterte damit genauso wie später Hedwig Bollhagen, die „ihre Malermädchen“ zu deren Hochzeit mit einem Service zu beschenken pflegte. Zu ihrem Kummer suchten sich diese nämlich nie etwas Modernes, sondern immer etwas mit Blümchendekor aus.

Es gab Versuche auf mehreren Ebenen, die Keramikproduktion zu modernisieren. Den Einfluss der Fachschulen vermag man nicht so recht einzuschätzen, vor allem weil die große Mobilität der Absolvent*innen nur schwer aufzuarbeiten ist. Einige der Absolvent*innen wie Erich Krause und Wolfgang Kreidl (Bunzlau) oder Hedwig Bolhagen (Höhr-Grenzhausen) sind später eindeutig mit ihren Arbeiten nachzuweisen. Für die meisten gilt das nicht.

Die Gründung des Deutschen Werkbundes war einer der Versuche, durch einen Zusammenschluss der Produzent*innen und Entwerfer*innen, oft mit einem eigenen Vertriebssystem (Dürerhaus), das Niveau in allen Bereichen des Kunsthandwerkes zu steigern. Der Werkbund ist als Vorläufer für die Bauhausgründung anzusehen. Bei der Münchner Gründung des Deutschen Werkbundes waren die illustren Namen des frühen deutschen Industriedesigns dabei, die auch in der Keramik eine Rolle spielten, wie Richard Riemerschmid, Josef Maria Olbrich, Max Läuger u.v.a. Es gab noch andere Versuche, die Qualität der Keramik zu sichern. Der „Nürnberger Bund“ war eine Art Einkaufs- und Vertriebsgenossenschaft der Glas- und Keramikfachhändler*innen, die ein hohes Niveau gegenüber der Konkurrenz der Kaufhäuser wahren wollten. In der Sammlung gibt es etliche Stücke, die zusätzlich mit den Stempeln von Werkbund Dürerhaus und Nürnberger Bund versehen sind.

Das in Weimar gegründete Bauhaus mit seiner Rückbesinnung auf die Ideale der mittelalterlichen Bauhütte hatte auch in seinem keramischen Zweig das Hauptziel, das Niveau des Handwerks zu heben. Die Keramische Werkstatt, die nach einigem Hin und Her schließlich auf der Dornburg landete, produzierte einfache strenge Formen. Die beim Bauhaus Tätigen sind hier mit Arbeiten vertreten, die vor allem von ihren nachfolgenden Arbeitsstätten stammen: Fritz Wildenhain, Marguerite Friedlaender-Wildenhain, Johannes Leßmann.

Eine der Werkstätten, die sich um eine neue Form- und Dekorsprache schon vor dem Ersten Weltkrieg bemühte, war Vordamm. Aber es gab noch andere, die frischen Wind in die Produktion brachten: kleinere Werkstätten wie Schatz, Rüppurr u.v.a. Der eigentliche Höhepunkt der künstlerischen „Massenproduktion“ ist sicher in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre zu finden. Die beiden Werke in Velten und Vordamm mit ihren unterschiedlichen Produktlinien und großartigen Künstler*innen wie Theodor Bogler, Hedwig Bollhagen, Werner Gothein, Wolfgang Kreidl, Ursula Fesca und Werner Burri zeigen dort ihre Stärken. Eine erst in den letzten Jahren stärker beachtete Firma ist Hael in Marwitz, die Vorgängerfirma der HB-Werkstätten von Hedwig Bollhagen. Die Entwürfe der später aus Deutschland emigrierten Margarete Heymann-Loebenstein wirken immer noch wie Fanfaren zwischen den Massen des Steinguts. Es hat ihren Arbeiten sicher nicht geschadet, dass das Bauhaus sie nach den ersten Proben als Lehrling nicht behielt. Nach der erzwungenen „Arisierung“ ihrer Firma konnte sie ihre Karriere in Großbritannien nicht im gleichen Metier verfolgen.

Eva Stricker-Zeisel, die 2011 im Alter von 105 Jahren starb, ist eine weitere herausragende Keramikgestalterin um 1930. Ihre Arbeiten für Carstens Hirschau und Schramberg gehören zu den besten für die Zeit um 1930. In den USA ist sie mit ihren amerikanischen Entwürfen eine Stilikone, die in allen entsprechenden Museen zu finden ist.

Die exaltierte Formensprache der westeuropäischen Keramik jener Zeit gab es in Deutschland eher selten. Man kann sie bei den Spritzdekoren wiederfinden, die, offensichtlich inspiriert durch das russische Revolutionsporzellan, Ende der 1920er Jahre eine relative kurze Blütezeit hatten. Unter dem Aspekt der individuellen künstlerischen Gestaltung war dies sicher auch ein Endpunkt.

Artur Hennig, der Leiter der Bunzlauer Fachschule und selbst Entwerfer für etliche deutsche Porzellan- und Keramikfirmen, äußert sich als begeisterter Verfechter der industriellen Produktionsweise von Keramik: „An sich schon lange im Gebrauch, ist die Anwendung der Spritzapparate doch als eine moderne Errungenschaft zu bezeichnen. Nicht nur deshalb, weil dieses Verfahren immer mehr in Aufnahme kommt aus Gründen rationellen Arbeitens, sondern noch aus einem anderen Grunde darf die Technik des Aufspritzens der Farben im Gegensatz zu dem Pinselauftrag modern und zeitgemäß genannt werden. Der Pinselauftrag hat immer etwas von persönlicher Handschrift, die ja oft schlecht sein kann, während beim Spritzen dieses Moment ausscheidet und so die Dekoration die Klarheit der Maschinenschrift erhält. Wie wir uns gewöhnt haben, bei der Maschinenschrift unser Interesse mehr der Sprache, die behandelt wird, zuzuwenden, so ist es ähnlich bei Spritzdekoren. Es kommt mehr auf die gut organisierte Vorarbeit in Entwurf und Schablone an als auf die Zufälligkeiten, die aus dem Charakter des Arbeiters entspringen. Ob man dies begrüßt oder bedauert, ist eine Frage für sich. Auf jeden Fall liegt es in der notwendigen Entwicklung, dass mit der Technisierung das persönlich Betonte durch Sachlichkeit verdrängt wird.“

Die Keramiker*innen fanden trotzdem (oder gerade deshalb?) den Weg zu ihrem individuellen Ausdruck.

Die Kombination von Mal- und Spritzdekor war das Kennzeichen vor allem bei den Produkten der Carstens Werke in Rheinsberg und Uffrecht, aber auch in Elsterwerda und Schramberg. Sie liefern dafür hervorragende Beispiele. Auf den großflächigen Tortenplatten findet man die phantasievollsten Spritzdekore dieser Zeit. Tilmann Buddensieg, der erste Kunsthistoriker, der sich in den späten 1970er Jahren damit befasste, ging noch davon aus, dass 1933 mit diesem „kommunistischen“ Geschirr Schluss gewesen und es massenweise zerschlagen worden sei. Tatsächlich verlief die Gleichschaltung hier langsamer. Im NS-Staat war das Autarkiebesterben ein wichtiger Punkt. Doch der Einfluss aufs Design erfolgte (noch) nicht.

Die Messeanzeigen für Leipzig zeigen noch Spritzdekore bis 1935. Der Einfluss der Formensprache des Bauhauses verschwand nie ganz. Insbesondere bei Hermann Gretsch und seinen Entwürfen für Villeroy & Boch und Arzberg kann man dies aufzeigen. Im Katalog wird dieser Aspekt zusätzlich dokumentiert mit den Arbeiten von Hedwig Bollhagen, Richard Uhlemeyer und Jan Bontjes van Beek.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden zwar viele Formen und Dekore der frühen 1930er Jahre wieder aufgenommen, doch die neuen organischen Formen und Abstraktionen begrenzten den Erfolg. Es gab zaghafte „Wiedergutmachungsversuche“, indem vor allem die KPM Berlin und die Rosenthal AG emigrierte Vorkriegsdesigner*innen wie Trude Petri, Walter Gropius, Marguerite Friedlaender-Wildenhain u.a. mit Aufträgen betraut wurden. Theodor Bogler ließ nach dem Krieg als Prior der Abtei Maria Laach weiter produzieren.

Doch die Zäsur war erfolgt und auch nicht mehr rückgängig zu machen. Zwei Entwerferinnen lieferten ihre Entwürfe über diesen Einschnitt hinweg. Ursula Fesca für Wächtersbach und Hedwig Bollhagen für ihren Betrieb in Marwitz. Unter sehr unterschiedlichen gesellschaftlichen Bedingungen näherten sich die Formen- und Dekorsprache in der Keramik in Ost und West einander durchaus an, was man mit dem zeitlich größer werdenden Abstand zur Nachkriegszeit, umso deutlicher erkennt.

Der innere Zusammenhang der Keramik in dieser Sammlung erschloss sich z.T. erst später, als sich allmählich Qualitätsmerkmale herauskristallisierten und der Blick sich weitete, als er hinausging über die anfängliche Begeisterung für bestimmte Firmen. Die ungeheure Vielfalt und die Entwicklungsschübe für die deutsche Keramik sind natürlich auch abhängig von und verbunden mit der zeitgenössischen bildenden Kunst.

Werner Steinecke