Sensationserwerbung für die Klever Sammlung: Mutter und Kind von Karin Kneffel
Von 29. Oktober 2023 bis 18. Februar 2024 war im Museum Kurhaus Kleve eine groß angelegte Einzelausstellung von Karin Kneffel zu sehen, die für Furore sorgte und zu den Höhepunkten des damaligen Kunstjahres gehörte: „Face of a Woman, Head of a Child“. Nun konnte – dank der essentiellen Förderung des Ministeriums für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen und einer Unterstützung der Förderstiftung Museum Kurhaus Kleve – eines der schönsten Madonnendiptychen aus der für die Ausstellung namensgebenden Serie für die Sammlung des Freundeskreises angekauft werden.
Karin Kneffel (*1957) zählt zu den wichtigsten deutschen Malerinnen unserer Zeit, die eine beispiellose Karriere hingelegt hat. Wurde sie in den 1990er Jahren von männlichen Künstlerkollegen noch als Malerin von Obststillleben und Tierporträts diskreditiert, wird sie heute von den wichtigsten Kunstmuseen und -galerien für genau diese, den Zeitgeist treffende Kunstwerke hofiert und zelebriert. In der Klever Schau zu sehen war ein kuratierter Überblick über Kneffels Schaffen der letzten drei Jahrzehnte, bei dem u.a. sowohl Obstbilder, aber auch Feuerbilder, ihre an Gerhard Richter (ihrem ehem. Lehrer) orientierten Gemälde von Kerzen sowie Kirchenbilder und Filmstills zu sehen waren.
Doch zentraler Dreh- und Angelpunkt der Präsentation war eine völlig neue, der Ausstellung den Namen gebende Werkserie: die Madonnen-Diptychen. Diese Serie entstand während der Isolation der Jahre des Coronavirus und gilt heute als abgeschlossen, da Kneffel ihre Serien stets klein hält und nie ausreizt. Das Besondere an dieser speziellen Werkserie ist, dass sie (bis auf wenige Ausnahmen) erstmals überhaupt das Menschenbild zum Thema hat. Zudem widmet sich Karin Kneffel darin den am meisten gemalten Personen der Kunstgeschichte: der Gottesmutter und dem Jesuskind.
Karin Kneffel malt die berühmteste Mutterkind-Darstellung aller Zeiten und findet dafür trotzdem eine völlig neue und singuläre Formensprache, die ganz besonders in dem hier vorliegenden Diptychon mit dem Titel „2023/05 (a+b)“ zur Anschauung kommt. In dieser Werkgruppe widmet sich die Künstlerin Madonnenskulpturen des 14. bis 16. Jahrhunderts, deren Vorlagen allesamt farbige Fassungen aufweisen und aus Nord-, Ost- oder Südeuropa stammen.
Die exakte Zuordnung, welche Figur in welchem Kirchenraum steht, besitzt für Kneffel keine Bedeutung. Vielmehr geht es ihr um die Darstellung der Madonnen schlechthin, die durch die Jahrhunderte einem bezeichnenden Wandel unterworfen waren. Die Muttergottes war oft nicht würdig genug, um alleine für sich, ohne Beziehung zum Mann bzw. Sohn, dargestellt zu werden. Meistens wurde sie auf ihre Funktion als Empfängerin männlichen Spermas, Gebärende, Mutter, Ernährerin und Hüterin des Kindes reduziert – sowie als Leidtragende nach dessen Tod. Für die Bildhauer der Romanik war sie sogar nur der „Sessel“ des Sohnes („Sedes sapientiae“), für die Maler der Renaissance u.a. das formschöne Sexobjekt mit entblößter Brust, das überirdische Kind auf irdische Weise säugend.
Kneffel vollzieht in ihrer Werkserie einen beispielhaften Akt, indem sie die Hauptdarsteller voneinander trennt und die Muttergottes isoliert vom Jesusknaben malt. Indem sie sich auf die Gesichter konzentriert, fallen plötzlich sowohl Gemeinsamkeiten als auch erstmals Unterschiede auf. Die sonst meist den Jesuskindern untergeordneten Gottesmütter sind plötzlich interessante Individuen mit eigenem Ausdruck, die bspw. die Präsenz und das Gefühlsleben realer Frauen zwischen Superheldinnentum und Erschöpfung aufweisen. Die Jesuskinder wiederum sind kleine Persönlichkeiten mit eigenen charakterlichen Kennzeichen. Kneffel malt zudem immer altmeisterlich, egal ob z.B. Korkenzieherlocken oder den Porzellanteint der Holzoberflächen, in einer ansprechenden und attraktiven Weise.
Das Museum Kurhaus Kleve – Ewald Mataré-Sammlung und sein Förderverein, der Freundeskreis Museum Kurhaus und Koekkoek-Haus Kleve e.V., besitzen eine erlesene Sammlung vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Darin nehmen Madonnendarstellungen einen bedeutenden Platz ein, die dort aus mehreren Jahrhunderten zu finden sind (siehe ->hier). Darin sind nicht nur Madonnen des dem Museum den Namen gebenden Ewald Mataré sowie u.a. dessen Schüler Joseph Beuys zu finden, sondern auch spätgotische Skulpturen vom Niederrhein, unter denen Madonnen der Bildschnitzer Dries Holthuys, Henrik Douverman und Arnt van Tricht sicherlich als besonders wertvoll hervorzuheben sind. Diese Werke mit dem hier beschriebenen Madonnen-Diptychon von Karin Kneffel gemeinsam auszustellen, stellt einen ganz besonderen Reiz und Mehrwert für Besucherinnen und Besucher dar – nicht nur in kunsthistorischer, sondern auch in gesamtgesellschaftlicher Art.
In den Nuller und zehner Jahren des 21. Jahrhunderts ist die Wahrnehmung der Kunstwerke von Karin Kneffel stetig angestiegen. Ihre hyperrealistischen Werke erfreuen sich höchster Popularität. Sie weisen eine hohe Zugänglichkeit auf, die immer mit einer erzählerischen Tiefgründigkeit zu vereinen sind. Die Sammlung des Museum Kurhaus Kleve und seines Freundeskreises ist noch nicht vollständig digitalisiert, bietet jedoch 2025 online bereits rund 10.000 Objekte unter www.sammlung.mkk.art an. Der Prozentsatz weiblicher Positionen darin ist erschreckend, wenn nicht sogar beschämend gering. Nur eine kleine Anzahl von Einzelausstellungen und anschließenden Erwerbungen von Kunstwerken weiblicher Künstler durchbricht dieses fast komplett männlich ausgerichtete Programm. Daher müssen das Klever Museum und sein Förderverein zwingend einen verstärkten Fokus auf die Kunstwerke von Künstlerinnen legen, die jedoch nicht nur nach dem Geschlecht, sondern vor allem durch die sinnfällige Paarung hoher künstlerischer Qualität mit der Anknüpfung an die vorhandene, äußerst delikate Klever Sammlung erworben werden.
Karin Kneffels hier vorgestelltes Madonnen-Diptychon erfüllt diese Voraussetzungen wie keine andere Arbeit. Es ist in sowohl kunsthistorischer als auch gesamtgesellschaftlicher Weise für ein breites Publikum zugänglich und eröffnet trotz des überbordenden Hyperrealismus einen Spielraum für multiple Denkansätze und Präsentations- wie Vermittlungsmöglichkeiten. Kneffels zeitgenössische Protagonist*innen von Mutter und Kind entspringen zwar dem Spätmittelalter, könnten aber auch mühelos mit z.B. Bruegels „Kinderspielen“ von 1560 (Kunsthistorisches Museum Wien) oder Henri Rousseaus Bildern dicker Kinder um 1900 kombiniert werden. Kneffels Gottesmutter ähnelt z.B. Franz Gertschs „Silvia II.“ in der Sammlung des Museum Kurhaus Kleve, deren verführerische Zeitlosigkeit sie ebenfalls besitzt. Sie könnte sowohl als ikonisches Einzelstück als auch in einer variablen Fülle themenspezifischer Gruppenausstellungen präsentiert werden.
Karin Kneffels Madonnen-Diptychon stellt somit eine großartige Bereicherung der Klever Sammlung dar.
[verfasst und online gestellt von Valentina Vlašić]