Ankauf von Zeichnungen und Gemälden des 17. Jahrhunderts

Eine mehrjährige Fördermittelakquise ermöglichte die Erwerbung eines Konvoluts an Gemälden und Zeichnungen des 17. Jahrhunderts aus der Privatsammlung Emil und Christiane Underberg. Dabei handelt es sich um eine der größten Neuerwerbungen der letzten zehn Jahre für das Museum Kurhaus Kleve. Die Finanzierung durch den Freundeskreis Museum Kurhaus und Koekkoek-Haus Kleve e.V. glückte dank der großzügigen Unterstützung der Kulturstiftung der Länder, des Ministeriums für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen und der Kunststiftung NRW. Die wertvollen Neuzugänge, besonders die Zeichnungen von Jan van Goyen, erlauben internationale Vergleiche, so befinden sich Arbeiten von van Goyen in Museen wie dem Metropolitan Museum in New York oder dem Rijksmuseum Amsterdam.

Erworben werden konnten 7 Gemälde und 8 Zeichnungen. Die Kunstwerke verbindet die Thematik der niederrheinischen Landschaft in dem Dreieck um Nijmegen, Kleve und Emmerich. Nach dem Westfälischen Frieden 1648 begann eine für die Region unerwartete Blütezeit. 1647 wurde Graf Johann Moritz von Nassau-Siegen (1604–1679) von Kurfürst Friedrich Wilhelm IV. von Brandenburg (1640–1688) zum Statthalter seiner westlichen Landesteile Kleve, Mark und Ravensberg ernannt. Diese Berufung ist wegweisend für die Weiterentwicklung der ehemaligen Herzogstadt Kleve. Johann Moritz, der zu dieser Zeit 42 Jahre alt war, war durch seine achtjährige Tätigkeit als Gouverneur von Brasilien bekannt geworden. In Den Haag hatte er sich von den Architekten Jacob van Campen und Pieter Post eine Residenz, das Mauritshuis (heute die Königliche Gemäldegalerie), errichten lassen. Fünf Jahre lang, von 1647–1652, residierte auch der Kurfürst von Brandenburg mit seiner Frau, Prinzessin Henriette von Oranien, auf der Klever Burg, wo die Kurprinzen als Nachfolger geboren wurden. In Kleve entwickelte sich zu jener Zeit ein illustrer Hofstaat, der zu einem Bezugspunkt niederländischer Künstler wurde, die für den Statthalter und später für den Kurfürsten in Berlin arbeiteten.

In den 1960er Jahren begann der Unternehmer Emil Underberg mit dem Aufbau einer Sammlung niederländischer Kunst des 17. bis 19. Jahrhunderts. Beraten wurde er dabei vom Klever Museumsleiter Dr. Friedrich Gorissen. Mehr als fünfzig Jahre später, bot sich für das Museum Kurhaus Kleve die einzigartige Gelegenheit, durch den Ankauf ausgewählter Meisterwerke holländischer Künstler seine eigene Sammlung der Malerei der Goldenen Zeitalters zu verbessern. Die Neuzugänge knüpfen nahtlos an die vorhandene Sammlung an und bereichern diese fundamental. In der Klever Sammlung befinden sich bereits Werke von Jan van Goyen, Frans de Hulst, dem Rembrandt-Schüler Govert Flinck, Adriaen Hendriksz. Verboom, Michiel Jansz. van Miereveldt, Jan de Baen, Frédéric de Moucheron und mehr.

Zu den Höhepunkten der Erwerbung zählen die acht Skizzenbuchblätter Jan van Goyens. Der berühmte holländische Landschaftsmaler fertigte Skizzen seiner Reise an den Niederrhein 1650/1651 an, die zu den Highlights der Zeichenkunst des 17. Jahrhundert gehören. Ein Blatt befindet sich bereits in der Sammlung des Museum Kurhaus Kleve, nun konnten sage und schreibe acht weitere Skizzenbuchblätter hinzuerworben werden, die allesamt Kleve und die Umgebung zum Thema haben. Darunter befinden sich auch das spektakulärste Blatt dieses Buches überhaupt: das Titelblatt, das den Zeichner Jan van Goyen persönlich vor der Stadtkulisse Kleves zeigt. Weitere Blätter dieses ehemals 210 Seiten beinhaltenden Buches, das Anfang des 20. Jahrhundert auseinandergenommen wurde, befinden sich heute unter anderem im Rijksmuseum Amsterdam, im Metropolitan Museum New York, in der National Gallery, Washington oder in der Fondation Custodia, Paris. Die acht Skizzenbuchblätter knüpfen nahtlos an zwei Gemälde an – an eines von Jan van Goyen, an eines von seinem Umkreis, die ebenfalls beide die Topographie und die großartige niederrheinische Landschaft in dem Dreieck um Nijmegen, Kleve und Emmerich zum Inhalt haben.

 

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Studiopräsentation „Als Rauchen und Trinken noch Spaß machte“

»More Than Ever« lautet der Titel der aktuellen Sammlungspräsentation des Museum Kurhaus Kleve, der jedoch für den Ausstellungssaal mit der Keramik nicht zutrifft. Denn hier ist nur ein kleiner Ausschnitt der weit über 3.000 Teile umfassenden Sammlung Werner Steinecke (benannt nach dem großzügigen Schenker der Exponate) zu sehen. »Als Rauchen und Trinken noch Spaß machte« wäre daher in diesem Fall wohl ein trefflicherer Titel (der ganz im Sinne des 1946 geborenen und für seinen unterschwelligen Humor bekannten Mäzen läge). Denn zu sehen sind Nutzobjekte, die zu einer Zeit entstanden sind (1920er und 30er Jahre), als – noch nicht gebremst von gesundheitlichen Bedenken – gepafft und in sich rein geschüttet wurde, was das Zeug hielt. Filme, Werbeanzeigen, aber auch gerade keramische Produkte machten Werbung für diese Lebenshaltung. 

Um 1900 geborene Künstlerinnen und Künstler waren oft nicht nur auf eine Gattung beschränkt, sondern begriffen sich als Allround-Talente für ein neues Denken, die einen Reformsatz für das Erstarrte und einen neuen Blick auf das Althergebrachte schufen. Objekte einiger der bekanntesten Künstlerinnen und Künstler von Werkbund und Bauhaus sind in diesem Saal vertreten, zu denen (um nur einige wenige zu nennen) u.a. Richard Riemerschmid (1868–1957), Albin Müller (1871–1941), Peter Behrens (1868–1940), Patriz Huber (1878–1902) und Ursula Fesca (1900–1975) gehören.

Rauchzubehör aus Keramik im frühen 20. Jahrhundert

Tabak als getrockneter Pflanzenteil, importiert aus der neuen Welt, und der Tabakgenuss verbreiteten sich in Europa seit dem 16. Jahrhundert in unterschiedlichen Formen. Trotz vielfacher Bemühungen, den Konsum einzuschränken, wurde er erst richtig populär, als die ungeheuren Einnahmequellen der Tabaksteuer und des Tabakzolls erkannt wurden. Tabak entwickelte sich zum Mode-, Lifestyle- und Luxusprodukt und erschien in vielfachen Varianten am Markt. Und entsprechend ergaben sich geradezu unendlich viele Möglichkeiten, die Rauchutensilien dem jeweiligen Geschmack anzupassen. In der Zeit der fortschreitenden Industrialisierung entwickelte sich – ähnlich wie beim Tafelgeschirr – eine breite Palette schnell herstellbarer und der jeweiligen Mode angepasster Keramikartikel auf dem Markt. 

In die Keramiksammlung von Welt gehörten im frühen 20. Jahrhundert beispielsweise die Attribute des selbstverständlichen Rauchens. Im gehobenen Bürgertum wurde z.B. das im Hause an zentraler Stelle untergebrachte Herrenzimmer populär, in dem diverse Rauchutensilien den Kunstgeschmack des Hausherrn widerspiegelten. In dieses Zimmer zog man sich im Regelfall nach dem Essen entweder alleine oder mit Gästen zur Zeitungslektüre, zum Gespräch oder zum gemeinsamen Tabakgenuss zurück. Um 1900 dominierten hier noch gründerzeitliche »Monstrositäten« aus Messing, Serpentin oder auch Holz, die mitunter sogar aus kolonialen Herkunftsländern importiert waren. Dann zog ab 1910 die moderne Keramik mit einer neuen Formensprache ein, die die Utensilien der Raucherwelt nicht nur optisch modernisierte, sondern vor allem der Zeit entsprechend funktionalisierte.

Tabak benötigt im Regelfall einen trockenen Platz zum Lagern, wofür sich besonders Keramikgefäße anboten. Dadurch wurden Tabaktöpfe populär, die in der Formen- und Dekorsprache des frühen 20. Jahrhunderts in großer Zahl auf dem Markt erschienen. Auch entstanden nach dem jeweiligen Kunstgeschmack Aschenbecher, die beispielsweise erotischen Männerphantasien Raum gaben oder aus heutiger Sicht rassistische Utensilien darstellten.

Keramik fürs Trinken

Bereits die höfische Kultur hatte eine große Differenzierung bei den Trinkgefäßen hervorgebracht, die das Bürgertum im 19 Jahrhundert oft mit weniger wertvollen Materialien kopierte. Im deutschen Kaiserreich ähnelte der Gastgebertisch der damals dominierenden Architektur. Da beispielsweise das kaiserliche Postamt wie eine spätmittelalterliche Trutzburg aussah, bildete auch das Bowlengefäß die Burg am Rhein nach. Der Bierkrug bekam einen Turmhelm. Der Reservist nahm seinen Krug, individuell an seine Dienstzeit erinnernd, daher gerne mit nach Hause. 

Um 1900 erfolgte mit der beginnenden Moderne ein vollständiger Bruch. Die Designer*innen, Entwerfer*innen oder Keramiker*innen richteten sich nicht mehr nach den mittelalterlichen Zitaten, sondern nach der organischen und floralen Form und der einfachen Dekoration mit geometrischen Ornamenten. Sie verzichteten völlig auf jede Art von »Verzierung«. Dieses Denken wurde in den 1920er Jahren noch erheblich verstärkt durch den Einfluss von Werkbund und Bauhaus. Und vor allem die Erfindung des Aerographen (Spritzpistole) trat ihren Siegeszug bis in die 1930er Jahre an. Das farben- und kontrastreiche Spritzdekor dominierte. Text Werner Steinecke, 30.10.2025

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Exquisiter Neuzugang für die Mittelalter-Sammlung: Heilige Anna von Henrik Douverman (entstanden in Kalkar zwischen 1518–1522)

Dank einer überwältigenden 100–Prozent–Finanzierung (!!!) der Ernst von Siemens Kunststiftung darf sich das Museum Kurhaus Kleve über einen erlesenen Neuzugang für seine Sammlung spätmittelalterlicher niederrheinischer Skulptur freuen: den einer weiblichen Heiligen von Henrik Douverman.

Bei der ca. 42 cm großen Eichenholzskulptur in hervorragendem Zustand handelt es sich vermutlich um eine Heilige Anna aus dem Kontext einer Heiligen Sippe, weniger wahrscheinlich um eine der drei Marien (neben Maria Muttergottes, Maria Cleophas oder Maria Salome) aus demselben ikonographischen Zusammenhang. Dargestellt ist eine sitzende Figur, die ein geöffnetes Buch auf ihrem Schoß hält. Ihre Beinhaltung, die Geste ihrer rechten Hand und ihre Körperdynamik weisen sie als ursprünglich linken Teil eines größeren Ensembles aus. Sie trägt ein Kleid mit üppigem Faltenwurf, ein Kopftuch und ein Brusttuch, die sie deutlich als verheiratete Frau kennzeichnen (und eine Zuschreibung als Maria bei der Verkündigung oder Maria Magdalena ausschließen).

Die Skulptur, die sich acht Generationen lang im Eigentum einer niederländischen Familie befand und deren Provenienz somit von jedem Zweifel erhaben ist, war im Œuvre Douvermans bislang völlig unbekannt. Sie tauchte erst 2025 im Kunsthandel auf, wo sie vom Fachmann für niederrheinische spätgotische Skulptur, Guido de Werd, sofort zweifelsfrei identifiziert wurde – der anschließend auch die Vermittlung an das Museum Kurhaus Kleve vornahm. Seine Zuschreibung untermauern zahlreiche Details, die sich bei weiteren Skulpturen des Bildhauers finden. Darunter besonders hervorzuheben sind u.a. das längliche Gesicht mit dem besonnen dreinschauenden Augenpaar und den spitzen Lippen, das direkt unter den Brüsten geschnürte Gürteltuch mit der nach oben drapierten Schlaufe, die langen Finger mit präzise ausgearbeiteten Nägeln, die Douverman-typische Bearbeitung der Gewandborten usw. Diese und weitere Details weisen die Arbeit als Frühwerk von Douverman aus, von dem sich in der Gegenwart nur wenige, dafür herausragende Beispiele erhalten haben.

Henrik Douverman kann fast als Rockstar der niederrheinischen Bildschnitzer der Spätgotik bezeichnet werden, der derart herausragende und unverwechselbare Stücke geschaffen hat, die ihn heute als bedeutendsten Bildhauer dieser Epoche am Niederrhein auszeichnen. Er war ein Bildhauer der schönen Frauenfiguren, deren Darstellung vor allem modischer Accessoires und üppiger Lockenpracht als legendär gilt (wie z.B. bei der Jungfräulichen Maria in St. Urban, Birgden). Seine Männerfiguren zeichnet eine eigentümliche stilistische Typenbildung aus (wie beispielsweise seine Skulpturen des Melchior oder Balthasar bei den Heiligen Drei Königen im Museum Kurhaus Kleve). Als Douvermans absolutes Hauptwerk gilt der eindrucksvolle monumentale Sieben-Schmerzen-Altar in St. Nicolai in Kalkar, der zu seinem Frühwerk zu zählen ist und in dessen Schaffensphase die hier vorgestellte Heilige Anna zu datieren ist. Doch auch seine auffallend theatralisch miteinander agierenden Heiligen Drei Könige (um 1535, Museum Kurhaus Kleve) oder seine opulente Thronende Muttergottes (um 1540, Musée de Cluny, Paris) weisen ihn als delikaten Meister exaltierter Bildhauerei erster Güte aus.

Henrik Douverman war ein Zeitgenosse Tilman Riemenschneiders und vom Rang her dem fränkischen Bildhauer ebenbürtig. Über Douverman sind nur wenige biographische Fakten erhalten geblieben. Er wurde wohl um 1480 in Dinslaken geboren und vor 1506 vom Klever Bildhauer Dries Holthuys (um 1500 tätig) ausgebildet. Sein Mitschüler war Henrik van Holt (ca. 1480/90–1545/46), dessen Schüler wiederum Arnt van Tricht (um 1535–1570 tätig) war. Da Douverman in Kleve ein „leichtfertiges Künstlerleben“ unterstellt wurde (wie es alte Quellen spekulierten), übersiedelte er um 1515 nach Kalkar, wo er seit 1517 als Bürger nachweisbar ist und um 1543/1544 starb. Damit bleibt er nicht nur der Region und ihrer Geschichte, sondern auch dem Sammlungsauftrag des städtischen Klever Museums unwiederbringlich verbunden. Daher befinden sich von allen hier genannten Bildhauern imposante und zum Teil ikonische Werke in der Sammlung des Museum Kurhaus Kleve. Die Neuerwerbung der weiblichen Heiligen fügt sich optimal ein und bringt u.a. durch das zeitlos schöne Motiv der Lesenden sogar ein zeitgemäßes Sujet zum Thema „Empowerment der Frau“ ein.

Weitere Werke Henrik Douvermans befinden sich u.a. im Rijksmuseum Amsterdam, im Museum Catharijneconvent in Utrecht, im Musée de Cluny Paris, im Museum Kolumba in Köln und in den Staatlichen Museen in Berlin. Das Auftauchen der hier beschriebenen Skulptur und die Vollerwerbung durch die Ernst von Siemens Kunststiftung für die Sammlung des Freundeskreises Museum Kurhaus und Koekkoek-Haus Kleve e.V. im Museum Kurhaus Kleve können durchaus als kleine Sensation angesehen werden – da Skulpturen dieser Epoche i.d.R. nicht mehr auf dem freien Markt erhältlich sind. In den letzten fünfzig Jahren wurden lediglich drei Skulpturen von Douverman zum Kauf angeboten: die oben bereits erwähnten Heiligen Drei Könige, die 2016–2018 für die Sammlung des Museum Kurhaus Kleve gesichert werden konnten, die hier beschriebene weibliche Heilige sowie eine Heilige Ursula, die 1975 durch das Rijksmuseum Amsterdam erworben werden konnte – aus der Sammlung des Sohnes von Sir Arthur Conan Doyle stammend, dem Autor der berühmten Sherlock Holmes-Romane.

Nicht nur der oben beschriebene kunsthistorische Kontext, sondern auch der zuletzt genannte populärkulturelle bilden eine willkommene und erfreuliche Bereicherung für die Klever Sammlung, die sich damit auf einem Level mit den oben genannten Museen bewegen darf.

[verfasst und online gestellt durch Valentina Vlašić]

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Schenkung einer imposanten Arbeit von Gitta van Heumen-Lucas für die Sammlung des Freundeskreises im MKK

Als Schenkung aus Privatbesitz erhielt der Freundeskreis Museum Kurhaus und Koekkoek-Haus Kleve e.V. im September 2025 eine imposante Arbeit der für die Region bedeutenden Künstlerin Gitta van Heumen-Lucas, die die zeitgenössische Sammlung des Museum Kurhaus Kleve ab sofort vortrefflich ergänzt und bereichert.  

Die Arbeit stammt aus dem Frühwerk der 1936 in Krefeld geborenen und seit den 1960er Jahren in Kleve lebenden van Heumen-Lucas, die als eine der bedeutendsten Künstlerinnen der Gegenwart in Kleve gilt. Der Kunstkritiker und Kurator Hans-Peter Riese (*1941) schrieb in der 2013 im Kölner Wienand-Verlag erschienenen Monographie „zeitzonen“ über sie, „dass man es hier mit einer Künstlerin zu tun hat, die in einer großen Autonomie arbeitet und ein Werk erschaffen hat, das in seiner inneren Kohärenz ein außerordentliches Beispiel deutscher Nachkriegskunst darstellt.“ (S. 8) 2016–2017 richtete ihr das Museum Kurhaus Kleve daher die Studio-Ausstellung „ponte/ponton“ aus, in der sie ausgewählte Arbeiten der letzten Jahrzehnte zeigte. Im Zentrum ihrer Arbeit stehen immer Aspekte wie die Beschäftigung und das Experiment mit dem Raum, der Schichtung und der Überlagerung sowie die Polaritäten von Elementen, der Zeit und der Bewegung. 

Bei „Einströmende Augenblicksinformation“ kulminieren diese Handlungsmaximen auf geradezu vorbildliche Weise. Es handelt sich um eine Arbeit, die die Betrachtenden gleichermaßen fasziniert als auch irritiert. Van Heumen-Lucas besitzt seit jeher ein „Misstrauen gegenüber der Leinwand“ (Riese, S. 10), das hier trefflich zum Vorschein kommt. Die Objektarbeit ist dreidimensional und besteht aus mehreren Gattungen und Kontexten. Eine Druckgraphik bildet das Herzstück, die abstrakt-surrealistische Motivwelten mit informeller Ausdrucksweise verbindet. Im Zentrum ist eine Figur mit ausgebreiteten Armen zu erkennen, die eine Mischung aus Leonardo da Vincis „Vitruvianischen Menschen“ und eines der Protagonisten aus Oskar Schlemmers „Triadischem Ballett“ darstellt. Sie ist eingespannt in eine Art Weltkugel, die mit horizontalen, ellyptisch verlaufenden Balken angedeutet ist und durch spiegelverkehrt angebrachte Zeitungsmeldungen inhaltlich angereichert wird. Ein Auge am unteren Ende blickt die Betrachtenden aufmerksam an – und wird von diesen automatisch mit dem Auge der Vorsehung in Zusammenhang gebracht, dem sog. „allsehenden Auge Gottes“. Rechts oben erscheint spiegelverkehrt vermutlich das frühe Porträt des berühmten irischen Schriftstellers Oscar Wilde (1854–1900), der leidenschaftliche Kontakte zum Spiritualismus und Okkultismus pflegte. 

Der aufrecht in der Weltkugel balancierende Mann, der vom Auge Gottes und den fortschrittlichen, aber zeitlebens nie etablierten Ideen Oscar Wildes begleitet wird, bildet somit die Basis für die „einströmenden Augenblicksinformationen“, denen van Heumen-Lucas bei der Konzeption dieser poetischen und sinnästhetischen Arbeit offensichtlich unterworfen war. Diese Botschaft wird unterstützt durch eine gewisse reduzierte Leichtigkeit der Ausführung (alle Elemente erscheinen in Weiß, Hellblau und -Grau) und durch die Präsentation in einem Holzrahmen, der von der Künstlerin absichtlich wie ein sich öffnendes Fenster arrangiert ist. Der Plexiglasrahmen, der fester Bestandteil der Arbeit ist, unterstreicht den Objektcharakter, schützt und konserviert das Objekt aber auch vor dem vermeintlich feindlichen Außenraum. 

Der große niederrheinische Kunstexperte Franz Joseph van der Grinten (1933–2020) schrieb über van Heumen-Lucas’ Arbeiten: „Der Betrachter lässt sich ein in einen Raum, den er nicht betreten kann, den er aber, ist er denn überhaupt empfindlich, geradezu körperhaft fühlt“ („zeitzonen“, S. 17). Eine Aussage, die auf die hier vorliegende Arbeit geradezu vorzüglich zutrifft.

[verfasst und online gestellt von Valentina Vlašić]

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Mittelalterliches Hauptwerk aus Kleve im Aachener Suermondt-Ludwig-Museum zu sehen

Im Herbst und Winter 2025/2026 reist ein Hauptwerk aus der mittelalterlichen Sammlung des Museum Kurhaus Kleve nach Aachen, um von 29. November 2025 bis 16. März 2026 in der von Kurator Michael Rief großartig konzipierten Ausstellung „Praymobil – Mittelalterliche Kunst in Bewegung“ im Suermondt-Ludwig-Museum in Aachen gezeigt zu werden: der „Himmelfahrtschristus“ von Meister Arnt von Kalkar und Zwolle (1476). 

Die Ausstellung ist weltweit die erste Schau, die sich der Wirksamkeit von mittelalterlichen Skulpturen in Gestalt von bewegten und „selbst-agierenden“ Figuren widmet. Als „bewegend, als wenn es lebete“ werden in einer mittelalterlichen Quelle jene Bildwerke bezeichnet, die im kirchlichen Brauchtum, der Liturgie und in der Frömmigkeitspraxis die Illusion vermittelten, sie seien lebendig. Es handelt sich um meist aus Holz, mitunter aber auch aus Ton oder Metallen gefertigte Skulpturen, die im Spätmittelalter und der frühen Neuzeit zur Veranschaulichung und Verlebendigung vornehmlich des Christuslebens und der Passionsgeschichte als Protagonisten geistlicher Spiele zum Einsatz kamen. Sie sollten für das „re-enactment“ jenseits der kirchlichen Zeremonien und während der Liturgiefeier den Eindruck erwecken, als würden sie selbst agieren. 

In der kunsthistorischen Literatur hat sich hierfür seit den späten 1980er Jahren der Begriff des „handelnden Bildwerks“ eingebürgert, der jedoch zu Missverständnissen führen kann, da die Bildwerke ja selbst nicht handeln, sondern bewegt werden. Hierzu zählen nackte und anzukleidende Christkinder sowie Christkindwiegen bzw. -bettchen, die beinahe lebensgroßen, auf fahrbare Gestelle montierten Palmesel mit reitender Christusfigur, die am Palmsonntag in einer großen Prozession durch das Kirchenviertel gezogen wurden; Kruzifixe mit schwenkbaren Armen, mit denen Kreuzabnahme, Beweinung und Grablegung unter Beteiligung von menschlichen Akteuren nachgestellt werden konnten, ferner Grablieger (Leichnam Christi) und Figuren des Himmelfahrtschristus, die am Tag von „Christi Himmelfahrt“ in das „Heiliggeistloch“ im Kirchgewölbe gezogen wurden.

Zu den bewegten Bildwerken gehören auch, wie bislang noch wenig bekannt, Marienfiguren wie die Maria gravida (Maria in der Hoffnung), der man das Christkind aus dem Bauch herausnehmen konnte; Madonnen, denen das Kind abnehmbar aufgesteckt war; Gottesmutterdarstellung­en, die selbst oder deren Christuskinder einen drehbaren Kopf besaßen; Marienfiguren mit fließenden Tränen; Maria als Schmerzensmutter mit dem zur Beweinung oder Grablegung abnehmbaren Leichnam Christi. 

Auch Skulpturen, mit denen mehrere biblische Ereignisse veranschaulicht werden konnten, sind Gegenstand der Ausstellung: Christusbilder, die im Kontext der Passionsgeschichte sowohl in der Ecce homo-Szene, als auch als Schmerzensmann und Grablegungschristus fungieren konnte; sowie Christkinder, die an Marien aufgesteckt wurden und auf Kissen während Prozessionen an Mariä Lichtmess bzw. zur Aufstellung auf dem Altar Verwendung fanden. 

Es ist ein spannender und der Allgemeinheit nicht bekannter Aspekt, dass doch so viele Skulpturen in Liturgie und Frömmigkeitspraxis des Spätmittelalters wirklich gebraucht und bewegt und ihnen somit Lebendigkeit verliehen wurden. In der Regel verbindet man mit Skulpturen dieser Zeit eher statische Objekte. 

Im Gegensatz zu diesen bewegten Bildwerken lassen sich auch selbst-agierende Skulpturen nachweisen. Dies betrifft sowohl den Bereich der Automaten, als auch in der Malerei und Graphik auftretende Bildwerke, die entsprechend verschiedener Legenden selbsttätig handeln. Dies gilt etwa für die HI. Katharina von Siena, die von einem geschnitzten Holzkruzifix Stigmata empfing, die HI. Hedwig, die von einem Kruzifix gesegnet wurde, oder den HI. Bernhard, der aus der Brust einer Madonnenskulptur einen Milchstrahl erhielt. Auch dieser Aspekt der eigenmächtig handelnden Skulpturen wird in der Ausstellung vorgestellt. 

Darüber hinaus geht es um das „missbrauchte“ Kunstwerk: Die Ausstellung thematisiert auch die Entlarvung von weinenden, blutenden und sprechenden Bildwerken als Betrug, die aus religiösen, vor allem aber auch aus handfesten Gewinnstreben die Vorstellung von Wundern fingierten. Diese an Reliquienschwindel angelehnten und erstaunlich weit verbreiteten Praktiken hatten einen wesentlichen Anteil an der zum Teil besonders vehementen Ablehnung bewegten Bilder in der Reformation. Dabei kam es auch im Protestantismus zu vereinzelter Um- und Neunutzung bewegter Bilder, was in der Ausstellung gleichfalls nicht verschwiegen werden soll. 

Die Ausstellung widmet sich Beispielen mittelalterlicher Kunst, die im Gegensatz zur kostbaren Schatzkunst von Stiftskirchen und Bischofssitzen vor allem durch breite Bevölkerungsschichten der damaligen Zeit bewundert und verehrt wurden. Der Fokus des Interesses gilt den Schnittstellen zwischen Kunstgeschichte, Frömmigkeitspraxis und volkstümlichem Brauchtum, deren Nachwirkungen nicht nur im Rheinland bis in den heutigen Tag spürbar sind. Aus diesem Grunde thematisiert die Ausstellung abschließend das Fortleben jener in der mittelalterlichen Glaubenspraxis wurzelnden Traditionen während des Barocks und bis in die Gegenwart. Erwähnt werden soll, dass die Figuren einerseits mit Gesang, Sprechsequenzen und Musik für das theatralische und dramatische Spiel unter Volksbeteiligung genutzt wurden, eine sicherlich laute und lebhafte Angelegenheit, aber auch für die kontemplative Versenkung (z.B. der Grablieger im Heiliggrab, Christuskinder) nach dem re-enactment. 

Einen direkten und augenfälligen Bezug zum Ausstellungsthema findet sich in einem in Aachen noch lebendigen Brauch, der das Faszinosum der gegenständlichen Skulpturen­gattung deutlich macht: Während des dreitägigen Roskirmes-Festes „Streuengelche van de Rues“ im Bereich der Roskapelle wurde und wird eine reich gekleidete Skulptur, die sogenannte „Streuengelche-Puppe“ auf Seilen, die hoch zwischen zwei Häusern quer über die Rosstraße gespannt sind, hin- und hergezogen. Durch die Rüttelbewegungen selbst bzw. durch eine Kippvorrichtung vermag die Figur Süßigkeiten („Kamelle“) in die Menge fallen zu lassen. Auch die seit 1521 von der Aachener Bevölkerung für Umzüge eingesetzte überlebensgroße bewegliche Puppe Karls des Großen (seit dem 19. Jahrhundert verschollen) gehört in einen vergleichbaren Kontext. 

Ausgehend von einigen Stücken aus eigenem Bestand und ausgewählten Leihgaben aus europäischen Sammlungen soll die Schau die damalige Mediennutzung, die Verbindung zwischen geistlichem Spiel und Theaterpraxis innerhalb und außerhalb der Liturgie herausarbeiten. Funktionszusammenhänge, die bei der Erforschung von Kunstwerken oftmals ausgeblendet und sogar in der musealen Präsentation getilgt wurden (Räder von Palmeselchristus-Figuren entfernt, Gelenke der beweglichen Gliedmaße überkittet und retuschiert usw.), stehen im Vordergrund. Erst neuerdings werden Fragen nach der Funktion von Objekten in den Blickpunkt gerückt, während jahrzehntelang nur Stilfragen diskutiert wurden. 

Die Ausstellung integriert darüber hinaus bewusst und zielgerichtet zeitgenössische Kunstwerke, die aufgrund ähnlicher Ästhetik, performativer Qualitäten sowie verwandter Themen, die Aktualität der Thematik unterstreichen und die den Objekten zugrundeliegenden allgemeinen menschlichen Bedürfnisse und Interessen in den Vordergrund stellen. Hier denken wir unter anderem an Werke von Berlinde de Bruyckere, lsa Genzken, Hans op de Beek, oder Andre Guerif. Die Integration zeitgenössischer künstlerischer Positionen in die Ausstellung kann wesentlich dazu beitragen, den Besucher*innen inhaltliche und emotionale Zugänge zu der Ausstellungsthematik zu ermöglichen, die bei einer ausschließlich historischen Kontextualisierung nur eingeschränkt wirksam werden. 

Die Ausstellung zeigt ca. 70 bis 80 Objekte aus deutschen und europäischen Museen, kirchlichen und privaten Sammlungen vornehmlich aus einem Zeitraum von etwa 1300 bis 1550. Es handelt sich meist um bis zu lebensgroße Skulpturen aus Holz, um Kleinfiguren auch aus Ton und Silber, sowie Gemälde und Druckgraphiken. Zur Ausstellung erscheint ein Katalog mit ca. 15 Essays und Katalogeinträgen zu allen Exponaten bzw. Objektgruppen, verfasst von internationalen Spezialist*innen. 

Weitere Informationen über die Ausstellung in Aachen sind ->hier abrufbar. 

[verfasst von Michael Rief, online gestellt von Valentina Vlašić]

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Sensationserwerbung für die Klever Sammlung: Mutter und Kind von Karin Kneffel

Von 29. Oktober 2023 bis 18. Februar 2024 war im Museum Kurhaus Kleve eine groß angelegte Einzelausstellung von Karin Kneffel zu sehen, die für Furore sorgte und zu den Höhepunkten des damaligen Kunstjahres gehörte: „Face of a Woman, Head of a Child“. Nun konnte – dank der essentiellen Förderung des Ministeriums für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen und einer Unterstützung der Förderstiftung Museum Kurhaus Kleve – eines der schönsten Madonnendiptychen aus der für die Ausstellung namensgebenden Serie für die Sammlung des Freundeskreises angekauft werden. 

Karin Kneffel (*1957) zählt zu den wichtigsten deutschen Malerinnen unserer Zeit, die eine beispiellose Karriere hingelegt hat. Wurde sie in den 1990er Jahren von männlichen Künstlerkollegen noch als Malerin von Obststillleben und Tierporträts diskreditiert, wird sie heute von den wichtigsten Kunstmuseen und -galerien für genau diese, den Zeitgeist treffende Kunstwerke hofiert und zelebriert. In der Klever Schau zu sehen war ein kuratierter Überblick über Kneffels Schaffen der letzten drei Jahrzehnte, bei dem u.a. sowohl Obstbilder, aber auch Feuerbilder, ihre an Gerhard Richter (ihrem ehem. Lehrer) orientierten Gemälde von Kerzen sowie Kirchenbilder und Filmstills zu sehen waren. 

Doch zentraler Dreh- und Angelpunkt der Präsentation war eine völlig neue, der Ausstellung den Namen gebende Werkserie: die Madonnen-Diptychen. Diese Serie entstand während der Isolation der Jahre des Coronavirus und gilt heute als abgeschlossen, da Kneffel ihre Serien stets klein hält und nie ausreizt. Das Besondere an dieser speziellen Werkserie ist, dass sie (bis auf wenige Ausnahmen) erstmals überhaupt das Menschenbild zum Thema hat. Zudem widmet sich Karin Kneffel darin den am meisten gemalten Personen der Kunstgeschichte: der Gottesmutter und dem Jesuskind. 

Karin Kneffel malt die berühmteste Mutterkind-Darstellung aller Zeiten und findet dafür trotzdem eine völlig neue und singuläre Formensprache, die ganz besonders in dem hier vorliegenden Diptychon mit dem Titel „2023/05 (a+b)“ zur Anschauung kommt. In dieser Werkgruppe widmet sich die Künstlerin Madonnenskulpturen des 14. bis 16. Jahrhunderts, deren Vorlagen allesamt farbige Fassungen aufweisen und aus Nord-, Ost- oder Südeuropa stammen.

Die exakte Zuordnung, welche Figur in welchem Kirchenraum steht, besitzt für Kneffel keine Bedeutung. Vielmehr geht es ihr um die Darstellung der Madonnen schlechthin, die durch die Jahrhunderte einem bezeichnenden Wandel unterworfen waren. Die Muttergottes war oft nicht würdig genug, um alleine für sich, ohne Beziehung zum Mann bzw. Sohn, dargestellt zu werden. Meistens wurde sie auf ihre Funktion als Empfängerin männlichen Spermas, Gebärende, Mutter, Ernährerin und Hüterin des Kindes reduziert – sowie als Leidtragende nach dessen Tod. Für die Bildhauer der Romanik war sie sogar nur der „Sessel“ des Sohnes („Sedes sapientiae“), für die Maler der Renaissance u.a. das formschöne Sexobjekt mit entblößter Brust, das überirdische Kind auf irdische Weise säugend.

Kneffel vollzieht in ihrer Werkserie einen beispielhaften Akt, indem sie die Hauptdarsteller voneinander trennt und die Muttergottes isoliert vom Jesusknaben malt. Indem sie sich auf die Gesichter konzentriert, fallen plötzlich sowohl Gemeinsamkeiten als auch erstmals Unterschiede auf. Die sonst meist den Jesuskindern untergeordneten Gottesmütter sind plötzlich interessante Individuen mit eigenem Ausdruck, die bspw. die Präsenz und das Gefühlsleben realer Frauen zwischen Superheldinnentum und Erschöpfung aufweisen. Die Jesuskinder wiederum sind kleine Persönlichkeiten mit eigenen charakterlichen Kennzeichen. Kneffel malt zudem immer altmeisterlich, egal ob z.B. Korkenzieherlocken oder den Porzellanteint der Holzoberflächen, in einer ansprechenden und attraktiven Weise.

Das Museum Kurhaus Kleve – Ewald Mataré-Sammlung und sein Förderverein, der Freundeskreis Museum Kurhaus und Koekkoek-Haus Kleve e.V., besitzen eine erlesene Sammlung vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Darin nehmen Madonnendarstellungen einen bedeutenden Platz ein, die dort aus mehreren Jahrhunderten zu finden sind (siehe ->hier). Darin sind nicht nur Madonnen des dem Museum den Namen gebenden Ewald Mataré sowie u.a. dessen Schüler Joseph Beuys zu finden, sondern auch spätgotische Skulpturen vom Niederrhein, unter denen Madonnen der Bildschnitzer Dries Holthuys, Henrik Douverman und Arnt van Tricht sicherlich als besonders wertvoll hervorzuheben sind. Diese Werke mit dem hier beschriebenen Madonnen-Diptychon von Karin Kneffel gemeinsam auszustellen, stellt einen ganz besonderen Reiz und Mehrwert für Besucherinnen und Besucher dar – nicht nur in kunsthistorischer, sondern auch in gesamtgesellschaftlicher Art.

In den Nuller und zehner Jahren des 21. Jahrhunderts ist die Wahrnehmung der Kunstwerke von Karin Kneffel stetig angestiegen. Ihre hyperrealistischen Werke erfreuen sich höchster Popularität. Sie weisen eine hohe Zugänglichkeit auf, die immer mit einer erzählerischen Tiefgründigkeit zu vereinen sind. Die Sammlung des Museum Kurhaus Kleve und seines Freundeskreises ist noch nicht vollständig digitalisiert, bietet jedoch 2025 online bereits rund 10.000 Objekte unter www.sammlung.mkk.art an. Der Prozentsatz weiblicher Positionen darin ist erschreckend, wenn nicht sogar beschämend gering. Nur eine kleine Anzahl von Einzelausstellungen und anschließenden Erwerbungen von Kunstwerken weiblicher Künstler durchbricht dieses fast komplett männlich ausgerichtete Programm. Daher müssen das Klever Museum und sein Förderverein zwingend einen verstärkten Fokus auf die Kunstwerke von Künstlerinnen legen, die jedoch nicht nur nach dem Geschlecht, sondern vor allem durch die sinnfällige Paarung hoher künstlerischer Qualität mit der Anknüpfung an die vorhandene, äußerst delikate Klever Sammlung erworben werden. 

Karin Kneffels hier vorgestelltes Madonnen-Diptychon erfüllt diese Voraussetzungen wie keine andere Arbeit. Es ist in sowohl kunsthistorischer als auch gesamtgesellschaftlicher Weise für ein breites Publikum zugänglich und eröffnet trotz des überbordenden Hyperrealismus einen Spielraum für multiple Denkansätze und Präsentations- wie Vermittlungsmöglichkeiten. Kneffels zeitgenössische Protagonist*innen von Mutter und Kind entspringen zwar dem Spätmittelalter, könnten aber auch mühelos mit z.B. Bruegels „Kinderspielen“ von 1560 (Kunsthistorisches Museum Wien) oder Henri Rousseaus Bildern dicker Kinder um 1900 kombiniert werden. Kneffels Gottesmutter ähnelt z.B. Franz Gertschs „Silvia II.“ in der Sammlung des Museum Kurhaus Kleve, deren verführerische Zeitlosigkeit sie ebenfalls besitzt. Sie könnte sowohl als ikonisches Einzelstück als auch in einer variablen Fülle themenspezifischer Gruppenausstellungen präsentiert werden.

Karin Kneffels Madonnen-Diptychon stellt somit eine großartige Bereicherung der Klever Sammlung dar.

[verfasst und online gestellt von Valentina Vlašić]

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Treffsichere Neuerwerbung des Freundeskreises: Frauen-Power vor 100 Jahren, gepaart mit regionaler Identität & genialer Ergänzung der Sammlung

Ein wunderbarer Coup gelang dem Freundeskreis der Klever Museen mit einer kleinen, aber extrem feinen Neuerwerbung für die photographische Sammlung des Museum Kurhaus Kleve: Er konnte ein Konvolut an 16 Schwarzweißphotographien mit exzellent erhaltenen Vintage Prints der nahezu vergessenen Hamburger Photographin Elsbeth Köster (1894–1974) erwerben. Die Aufnahmen sind nicht nur wegen der geradezu verschwingend geringen Anzahl weiblicher Künstler in der Sammlung des MKK von größter Bedeutung, sondern auch, weil sie einerseits ein Stück lokaler kultureller Identität behandeln und andererseits perfekt an die vorhandene Sammlung anknüpfen. Überhaupt treffen sie den aktuell herrschenden Zeitgeist trefflich: Das Thema des Konvoluts sind die selbstbestimmten Frauen Else C. Kraus (1899–1978) und Alice Schuster (1893–1982), die vor rund 100 Jahren die Villa „Haus Wylerberg“ in Beek zwischen Kleve/Kranenburg und Nijmegen bewohnten.

Elsbeth Köster teilt das Frauenschicksal vieler Künstlerinnen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die in den 1930er Jahren mit Ausstellungen und Publikationen geehrt wurden, heute jedoch weitgehend vergessen sind. Daher ist die Wiederentdeckung ihres Œuvres dringend geboten – vor allem in der Klever Museumssammlung, die trotz fokussierter Neuerwerbungen der letzten Jahre einen weiterhin beschämend geringen Prozentsatz weiblicher Künstler aufweist.

Der künstlerische Nachlass von Elsbeth Köster befindet sich im Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg, wo sich rund 360 Photographien erhalten haben, die Menschen, Tiere, Architektur und Landschaft zeigen. Köster – eine Generation mit beispielsweise Anni Albers – ließ sich zunächst als Handweberin ausbilden, wofür sie 1926 sogar ein Gewerbe anmeldete. Der Kunstgewerbeverein Hamburg veröffentlichte 1927 die Innovationen ihres Kunsthandwerks in der Publikation „Hamburgische Werkkunst der Gegenwart“. 1928 wurde sie als Weberin an der Landeskunstschule Hamburg aufgenommen, in einer Zeit, in der sie vermutlich schon eine erste photographische Ausbildung absolvierte. Von 1929 bis 1930 nahm sie am Vorkurs im Bauhaus Dessau teil und studierte von 1930 bis 1933 an der Landeskunstschule Hamburg in der Fachklasse für Photographie. Um 1960 beendete sie ihre photographische Laufbahn. 

Die Aufnahmen von Elsbeth Köster im MKK sind lebensecht, eigensinnig und feinfühlig, unsentimental und sachlich sowie technisch perfekt und plastisch. Sie knüpfen wunderbar an die vorhandene Sammlung an (siehe ->hier). Die dargestellten Motive geben Auskunft, in welchen illustren Kreisen sich die Photographin zu jener Zeit bewegte. 

In dem 16-teiligen Konvolut befinden sich 7 Porträts von Else C. Kraus (1899–1978). Kraus war eine deutsche Pianistin, die sich für zeitgenössische Klaviermusik einsetzte und dadurch Auftrittsverbot während der NS-Zeit erhielt. Sie war u.a. Dozentin an der Staatlichen Akademie für Kirchen- und Schulmusik in Berlin und setzte sich für die Musik von Arnold Schönberg ein, für den sie zwei Mal eine Gesamteinspielung aufnahm, die nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs erschien.

Else C. Kraus war die Lebenspartnerin von Alice Schuster (1893–1982), von der sich 1 Porträt im vorliegenden Konvolut befindet. Schuster war Sängerin und die einzige Tochter von Marie Schuster-Hiby (1867–1949), einer vermögenden Industriellentochter und leidenschaftlichen Kunstsammlerin. Von 1921 bis 1924 ließ sich Marie Schuster-Hiby im niederrheinischen Beek, zwischen Kleve/Kranenburg und Nijmegen gelegen, durch den renommierten Berliner Architekten Otto Bartning (1883–1959) das eindrucksvolle „Haus Wylerberg“ errichten. Diese avantgardistische Villa wies einen 6-eckigen Grundriss – „wie ein Kristall“ – auf und ihr Zentrum bildete ein oktogonaler Konzertsaal, der die Akkustik trefflich spiegelte. Damit wollte Marie den Beruf ihrer Tochter Alice als Sängerin unterstützen.

Otto Bartning war zu jener Zeit DER unangefochtene Architekt der Moderne. Interessanter Weise schuf er nur ein Jahr nach dem Plan für Haus Wylerberg seinen wohl berühmtesten (aber nie realisierten) Entwurf – 1922 den für die expressionistische Sternkirche, mit der er den protestantischen Kirchenbau revolutionierte (weitere Infos ->hier). Auf dem Grundriss eines 7-zackigen Sterns standen Altar und Kanzel in der Mitte, die von allen Seiten zugänglich waren. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass ihm auch Haus Wylerberg als Inspiration dafür diente. 

Marie Schuster-Hiby, ihre Tochter Alice und deren Lebensgefährtin Else, die von allen nur „C-chen“ genannt wurde, führten in Wylerberg ein beeindruckendes Boheme-Leben. Nicht nur Elsbeth Köster besuchte sie dort (und photographierte dabei nicht nur die Bartning-Villa, sondern auch bspw. 1934 die Waalbrug bei Nijmegen), sondern auch Künstler und Musiker wie Christian Rohlfs, Arnold Schönberg, Ewald Mataré und Joseph Beuys. Ewalds Tochter Sonja Mataré (1926–2020) besuchte Haus Wylerberg mehrfach und verbrachte dort während des Zweiten Weltkrieges als Kind eine unbeschwerte Zeit (siehe ->hier). Es ist nicht auszuschließen, dass Ewald Mataré Else C. Kraus und Alice Schuster während eines Aufenthalts in List auf Sylt 1930 kennenlernte und die eigenwillige Pianistin dabei in Aquarell porträtierte (siehe ->hier). 

Das aus Kleve stammende und in Paris lebende Geschwisterpaar Helene (1903–1983) und Willy Maywald (1907–1985), das seinerseits ein breites Netzwerk aus Künstler*innen und Kreativen pflegte, besuchte Marie Schuster-Hiby mehrfach. Der Schöngeist Willy Maywald, der u.a. 1947 Diors „New Look“ in Paris photographierte und dadurch Weltruhm erlangte, schrieb in seiner Autobiographie „Splitter des Spiegels“ über „ihr herrliches Haus“, das „für mich immer eine Insel der Freiheit und Schönheit gewesen“ ist (S. 224f). Als Homosexueller hatte Maywald Deutschland früh verlassen und schrieb über Marie Schuster-Hiby, „die mir vor dem Krieg so viel geholfen hatte“ (S. 224). Bis zur Schließung der niederländischen Grenze 1938 versteckten die Schuster-Kraus-Frauen verbotene „entartete“ Kunst und unterstützten befreundete jüdische Künstler bei der Flucht nach Holland.

Auf 10 Photos aus dem Konvolut sind die beiden geliebten Dackel der zwei Frauen zu sehen, mit denen sie – nicht unähnlich wie etwa Peggy Guggenheim zu ihren Lhasa-Dogs – eine innige Beziehung führten, die auf den Photos von Elsbeth Köster trefflich zum Vorschein kommt. Männer spielten im Haushalt Schuster-Hiby-Kraus zwar eine völlig untergeordnete Rolle, doch trotzdem findet sich auch abschließend 1 Aufnahme zweier boxender, fleischlich kraftvoller Männer in Bademode in dem Konvolut.

Die Zusammenstellung und die Auswahl der Szenerien und Motive zeigt das völlig selbstbestimmte Leben dieser bemerkenswerten Frauen – sowohl der vor der Kamera, als auch dahinter. Eine somit mehr als treffliche Neuerwerbung für die photographische Sammlung des Museum Kurhaus Kleve, die den Zeitgeist trifft wie kaum eine andere. Chapeau und gut gemacht, lieber Freundeskreis-Vorstand! Die Erwerbung wurde übrigens möglich gemacht dank der behutsamen Vermittlung und Unterstützung von sowohl Annegret Stein als auch Guido de Werd. Auch ihnen sei hiermit sehr herzlich gedankt!

→ Alle Neuerwerbungen von Elsbeth Köster sind unten unter „Verknüpfte Objekte“ oder ->hier abrufbar. 

→ Alle Werke in der Sammlung des Museum Kurhaus Kleve, die mit der Villa „Haus Wylerberg“ und ihren Bewohnerinnen zu tun haben, sind ->hier abrufbar. 

→ Weitere Infos über das expressionistische Haus Wylerberg sind in folgender Publikation aus dem Jahr 1988 erhältllich, die über Ihren bevorzugten lokalen Buchhandel oder online ->hier bestellt werden kann.

[verfasst und online gestellt von Valentina Vlašić]

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Kleve leiht Kunstwerk für große Jeff Wall-Retrospektive im italienischen Bologna

Seit der Onlinestellung der Sammlung 2021 häufen sich die internationalen Anfragen, die Interesse an der Klever Sammlung bekunden (zuletzt: Louvre in Paris, Koninklijk Paleis in Amsterdam …). Jetzt wurde das kapitale Werk „River Road“ aus der Sammlung des Freundeskreises der Klever Museen für eine große Retrospektive über den kanadischen Photo-Künstler Jeff Wall (*1946) in der Fondazione MAST in Bologna angefragt. 

Jeff Wall ist ein herausragender Künstler sowohl unserer visuellen Gegenwart als auch Geschichte. In seiner Jugend unterstützte er maßgeblich die triumphale Rückkehr des klassischen Tafelbildes in die zeitgenössische Kunst und prägte zugleich um 1980 die Rückkehr der zeitgenössischen Kunst in das Museum. In Anlehnung an sogenannte Billboards, die das Straßenbild der 1970er und 80er Jahre beeinflussten, hat Jeff Wall mit seinen Leuchtkästen-Arbeiten Ausstellungen seit den 1980er Jahren wesentlich geprägt. Großild und Inszenierung bilden dabei die zentralen Markenzeichen von Jeff Wall, die sich sowohl auf Kunst- und Kulturgeschichte im allgemeinen als auch auf die Gegenwart und den Alltag der Menschen beziehen. 

In einer großen Retrospektive über den Künstler, die vom 12. November 2025 bis ca. Mitte März 2026 in der Fondazione MAST im italienischen Bologna zu sehen sein wird, werden bevorzugt Arbeiten des kanadischen Künstlers zu sehen sein, die mit Arbeit, Beschäftigung und den unterschiedlichsten werktätigen Handlungsabläufen zu tun haben. Die Ausstellung thematisiert die unterschiedlichsten Aspekte des menschlichen Tuns, Handelns, Agierens, des Kreierens und Ausführens – wofür die Klever Arbeit „River Road“ geradezu ideal ist, da sie einen in einer abgewrackt erscheinenden, aber in der klassischen Formenlehre des goldenen Schnitts proportionierten Szenerie gerade abfahrenden Truck zeigt.

Der Kurator der Schau ist der bekannte Ausstellungsmacher Urs Stahel (* 1953), der derzeit Art director im MAST ist und bis 2013 Direktor des Photomuseums Winterthur war, das er mit gegründet hat. Er realisiert die Ausstellung in enger Zusammenarbeit mit dem Künstler. Weitere Informationen über Urs Stahel sind ->hier abrufbar. 

Die Fondazione MAST ist eine noch vergleichsweise junge, vorwiegend auf Photographie und Video konzentrierte Institution, die erst 2013 in Bologna gegründet wurde. „MAST“ bedeutet „MANIFATTURA di ARTI, SPERIMENTAZIONE e TECNOLOGIA“, also in etwa Manufaktur von Kunst, Experiment und Technologie. Sie ist eine international ausgerichtete philanthropische Kulturinstitution, deren Schwerpunkt auf Kunst, Technologie und Innovation liegt.

Weitere Infos über die Fondazione MAST sind ->hier abrufbar. 

[verfasst von Valentina Vlašić]

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Restaurierung von 33 Gipsentwürfen von Ewald Mataré (1887–1965)

Von 2023 bis 2025 fand ein groß angelegtes Restaurierprojekt von 33 Gipsentwürfen von Ewald Mataré (1887–1965) statt, das zu hundert Prozent durch die Kulturstiftung der Länder finanziert und somit möglich gemacht wurde. Das im Museum Kurhaus Kleve – Ewald Mataré-Sammlung durch Valentina Vlašić initiierte und organisierte Projekt wurde von Restauratorin Miriam Hennessy Romen-Naegel aus Emmerich am Rhein fachkundig und fristgerecht realisiert und umgesetzt. 

Hintergrundinformationen zum Restaurierungsprojekt

Alle zu restaurierenden Objekte stammen aus dem Atelierhaus des Künstlers Ewald Mataré (1887–1965) an der Dückersstraße 10 in Meerbusch-Büderich, wo sie zeitlebens von Sonja Mataré, der Tochter des Künstlers, verwahrt wurden. Als diese am 7. Oktober 2020 im Alter von 93 Jahren verstarb, machte sie ihren langjährigen Weggefährten – den Gründungsdirektor des Museum Kurhaus Kleve, Guido de Werd, der den ersten Teil der „Ewald Mataré-Sammlung“ bereits 1988 nach Kleve holte – zu ihrem Alleinerben. Dieser machte der Stadt Kleve 2021/2022 eine fulminante Schenkung, indem er dieser nicht nur ca. 900 Werke von Ewald Mataré übergab, sondern u.a. auch Archivalia und Originalutensilien des Ateliers (siehe dazu auch ->hier). Darunter befanden sich auch ca. 150 Gipsobjekte von Ewald Mataré, von denen 33 stark restaurierungsbedürftig waren.

Sonja Mataré gewährte zeitlebens keinen Zugang zu diesem Konvolut. Die Lagerung im Atelierhaus fand unter konservatorisch nicht empfehlenswerten Bedingungen statt. Eine gründliche Aufarbeitung des Bestands und Restaurierung der beschädigten Objekte war somit erst nach ihrem Tod 2020 möglich. Die Finanzierung erfolgte durch die Kulturstiftung der Länder, die die wichtige Maßnahme durch ihre maßgebliche Unterstützung überhaupt möglich machte.

Zum Künstler und seinem Materialgedanken

Ewald Mataré gehört zu den bedeutendsten Künstler*innen der Klassischen Moderne in Deutschland, dessen Werk in einem Atemzug mit dem von u.a. Kollwitz, Barlach, Freundlich, Belling, Marcks, Sintenis genannt wird.

In seiner Kunst spielte Materialität eine wichtige Rolle. Er hat Skulpturen vor allem in Holz, Bronze, Stein und Gips gemacht. Jeder Werkstoff verfügte bei Mataré über einen eigenen Charakter und eignete sich für bestimmte Skulpturen. Das Material verhilft zum vollständigen „Be-greifen“ einer Skulptur, so Matarés Ansicht. Der Sehsinn allein war nicht ausreichend, die Skulptur sollte auch ertastet werden, erfahrbar sein.

Jede künstlerische Idee realisierte Ewald Mataré zuerst in Holz, und bei diesem präferierte er kostbare Materialien, z.B. Tropenhölzer. Durch den Guss mehrerer Stückzahlen in Bronze und den Verkauf bestritt er seinen Lebensunterhalt und den seiner Familie.

Um vom Holz zur Bronze zu gelangen, fertigte er Entwürfe in Gips und Ton sowie Gussmodelle. Da Holz und Gips seinem Verständnis nach oft unerwünschte Bearbeitungsspuren aufwiesen (fragile Teile wie Hörner und Beine brachen ihm oft ab, die er wieder leimen musste), besaßen die Werke in diesen Materialien für ihn einen minderen Stellenwert. Sein bevorzugtes Material war Bronze.

Aus heutiger Sicht stellen die Werke in Holz und Gips die größeren Kostbarkeiten dar, die für unsere Sichtweise auf die Werke Ewald Matarés neue Erkenntnisse liefern. Bronzeoberflächen verändern im Vergleich zu Hölzern und Gipsen die Wahrnehmung, sie gaukeln Perfektion vor, wo diese ursprünglich nicht vorhanden war. Da von mehreren Bronzen Matarés heute keine Holzunikate mehr existieren, stellen Gipsentwürfe die ursprünglichste Intention des Künstlers dar. Die Gipsoberflächen geben das für Mataré derart wichtige Wechselspiel von Farbe, Form, Plastizität und Oberfläche völlig anders wider als dies bei vermeintlich „perfekten“ Bronzen der Fall ist. Zudem wirken Skulpturen in Gips – im Gegenteil zu denen in Bronze – fragil und vergänglich.

Materialbesonderheit

Gips (CaS04.2H2O) ist ein schnell abbindendes Material, das chemisch als Calciumsulfat-Dihydrat bezeichnet wird. Beim Erhitzen verliert es Wasser und bildet Kalziumsulfat-Halbhydrat, das der Hauptbestandteil von Gips ist.

Gips ist ein sehr poröses Material und kann daher sehr viel Feuchtigkeit aufnehmen. Da die meisten dieser Gipskonstruktionen eine Eisenarmatur als Unterkonstruktion haben, hat sich an einigen von ihnen aufgrund von Klimaschwankungen bereits Rost gebildet, der sich ausdehnen und den darüber liegenden Gips zerstören kann.

Aus diesem Grund ist es üblich, den Gips mit einer Firnisschicht (Schellack) zu beschichten, um den Gips zu versiegeln und zu schützen.

Schadensbild

Die Problemstellungen an den 33 Gipsfiguren von Ewald Mataré waren wie folgt:

  • Die Objekte befanden sich in einem schlechten Zustand.
  • Sie waren mit Schmutz und Staub bedeckt.
  • Sie wiesen Risse bis zu vollständigen Abbrüchen auf.
  • Einzelne Objekte wiesen Metallkonstruktionen im Inneren auf, die verrostet waren und schwere Brüche verursacht haben, die dazu führten, dass sie in einigen Fällen in mehrere Stücke zerbrochen sind.
  • Die Oberflächen einiger Objekte wiesen Kratzer und kleine Abplatzungen auf, die als weiße Flecken den Gesamteindruck stören.
  • Bei einigen Objekten war der Silikon/Kautschuk noch in den Bruchstellen vorhanden. Diese Bruchstellen waren auf den Herstellungsprozess der Gussform zurückzuführen. Das bei der Herstellung der Formen verwendete Silikon/Kautschuk hat seine Elastizität verloren und zerfiel. Bei manchen Objekten begannen am Silikon/Kautschuk Weichmacher auszutreten.
  • Vor jedem Eingriff wurde eine gründliche Untersuchung des Kulturguts durchgeführt und entsprechende Aufzeichnungen erstellt. Dazu gehörte eine Beschreibung der Struktur, der Materialien, des Zustands und ggf. der relevanten Geschichte.
  • Die 33 Objekte wurden umfassend dokumentiert, ein Behandlungsplan wurde entwickelt, der Behandlungsplan wurde im Hinblick auf die ethische Konservierungspraxis durchgeführt und schließlich wird die korrekte Lagerung festgelegt.
  • Die Behandlung jedes Objekts erfolgte individuell, z.B. auf das Alter des Materials und jeweiligen Schäden bezogen. Einige Objekte wiesen Rost auf, Schimmelbildung, Rissbildung. Jedes Objekt wurde studiert und dokumentiert sowie einer Stichprobe von Tests unterzogen.
  • Es wurden Trockenreinigungsverfahren zur Behandlung der Oberflächen vorgenommen sowie organische als auch chemische Restaurierungspläne und die entsprechenden Materialien und Pflege erstellt.

Plan

Die 33 Objekte waren in einem z.T. stark beschädigten und nicht ausstellbaren Zustand. Sie wurden im Vorfeld vom Schadensgrad in 3 Kategorien eingeteilt:

  • Oberflächenreinigung und Befestigung loser Teile.
  • Oberflächenreinigung und Rekonstruktion, Behandlung kleinerer Schäden.
  • Oberflächenreinigung und Rekonstruktion sowie umfassende Restaurierung größerer Schäden.

Maßnahmen

Bei Kategorie 1:

  • eingehende Prüfung der Objekte zur Beurteilung der genauen Behandlung.
  • trockene Oberflächenreinigung mit Hepafilter-Staubsauger und Pinsel.
  • Entfernung der Fremdpartikel in den Unterschnitten und Vertiefungen.
  • Niederlegung kleiner Ausbruchstellen mit Evacon-R.
  • Retusche der Fehlstellen mit Gouachefarben.
  • leichtes Polieren der Oberfläche.
  • photographische und schriftliche Dokumentation.

Bei Kategorie 2:

  • eingehende Prüfung der Objekte zur Beurteilung der genauen Behandlung.
  • trockene Oberflächenreinigung mit Hepafilter-Staubsauger und Pinsel.
  • Entfernung der Fremdpartikel in den Unterschnitten und Vertiefungen.
  • Niederlegung kleiner Ausbruchstellen mit Evacon-R.
  • Rost: Behandlung mit EDTA-Lösung 3% bei anschließender Nachreinigung mit H2O; Konsolidierung mit Paraloid-B 72%.
  • Festigung der Fehlstellen und lockeren Teile.
  • Retusche der Fehlstellen mit Gouachefarben.
  • leichtes Polieren der Oberfläche.
  • photographische und schriftliche Dokumentation.

Bei Kategorie 3:

  • eingehende Prüfung der Objekte zur Beurteilung der genauen Behandlung.
  • trockene Oberflächenreinigung mit Hepafilter-Staubsauger und Pinsel.
  • Entfernung der Fremdpartikel in den Unterschnitten und Vertiefungen.
  • Oberflächenreinigung mit einer Natrium-Citrat-Lösung 3%.
  • Niederlegung kleiner Ausbruchstellen mit Evacon-R.
  • Rost: Behandlung mit EDTA-Lösung 3% mit anschließender Nachreinigung mit H2O, Konsolidierung mit Paraloid-B 72%.
  • Festigung der Fehlstellen und lockeren Teile.
  • mit Dübeln und Kalkputzkitt gebrochene Teile wieder verbinden.
  • Neu-Kittung und Strukturierung der Fehlstellen mit Kreide-Kitt.
  • Retusche der Fehlstellen mit Gouachefarben.
  • leichtes Polieren der Oberfläche.
  • photographische und schriftliche Dokumentation.

Die Eingriffe wurden nach den heutigen Grundsätzen der Konservierung vorgenommen und zielten darauf ab, alle Objekte sowohl zu erhalten als auch sie der visuellen Intention aus der Sicht des Künstlers anzunähern. Die Konservierung war erforderlich, um die jeweiligen Strukturen wiederherzustellen und die Oberflächen vor weiteren Schäden zu schützen.

Ergebnis

Die Einheit der Skulpturen wurde wiederhergestellt, so dass diese künftig wieder ausstellungsfähig sind. Ein Großteil der Arbeiten wurde bereits in der Retrospektive „Ewald Mataré: KOSMOS“ (27.10.2024 – 09.03.2025) im Museum Kurhaus Kleve aufgenommen und somit erstmals überhaupt der Öffentlichkeit präsentiert.

Eine leichte Wachsschicht wurde jeweils angebracht, die die Oberflächen vor weiteren Schäden schützt. Für jedes Objekt wurde ein Restaurierungsbericht erstellt, der nicht nur die vorgenommene Maßnahme dokumentiert, sondern auch als Anhaltspunkt für weitere Nachforschungen dienen kann.

[verfasst von Miriam Hennessy und Valentina Vlašić; online gestellt von Valentina Vlašić]

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Cloots und Beuys aus Kleve gehen zu Abramović nach Moyland

Das Museum Kurhaus Kleve und sein Freundeskreis nehmen Teil an der großen Sonderausstellung „Marina Abramović und MAI im Dialog mit Joseph Beuys“ (13.07.–26.10.2025) im Museum Schloss Moyland in Bedburg-Hau, indem sie einen Kupferstich mit dem Porträt von Jean-Baptiste „Anacharsis“ Cloots und eine Photographie von Gerd Ludwig leihen, die Joseph Beuys zeigt, der auf dem Rücksitz seines Bentleys sitzt und just vom Wohnort des „Anacharsis“ Cloots – dem Schloss Gnadenthal in Kleve – wegfährt und dabei dem Photographen die Biographie von Cloots zeigt, auf deren Titelseite er „Josephanacharsisclootsbeuys“ vermerkt hat. 

Im Jahr 2005 präsentierte Marina Abramović 7 Easy Pieces im New Yorker Guggenheim Museum. Für ihre sieben je 7-stündigen Reinszenierungen der Performances verschiedener Künstler*innen holte sie jeweils die Genehmigung des/der Künstler*in oder des Nachlasses ein und bezahlte für die Nutzung der Idee im Rahmen ihrer Re-Performance.

Eine der ikonischen Aktionen, die sie erneut aufführte, war „Wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt“ von Joseph Beuys. Beuys hatte die Aktion 1965 konzipiert und in der Düsseldorfer Galerie Schmela ausgeführt. Die Dokumentation von Abramović’s Re-Performance sowie Beuys‘ ursprünglicher Inszenierung bilden den Ausgangspunkt für weitere künstlerische Forschung im Joseph Beuys Archiv und im Sammlungsbestand des Museums Schloss Moyland mit dem Marina Abramović Institute (MAI).

Weitere Informationen über die Ausstellung sind ->hier abrufbar. 

[online gestellt von Valentina Vlašić]

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Kleves Andy Warhol im österreichischen Lienz zu sehen

Die 2-teilige Arbeit „Details of Renaissance Paintings (Leonardo da Vinci, The Annunciation, 1472)“ von Andy Warhol, die sich seit 2020 als Dauerleihgabe der NRW.BANK. im Museum Kurhaus Kleve befindet, ist von 28. Mai bis Mitte Oktober 2025 in der Ausstellung „blicke nach innen. Nicäa“ auf Schloss Bruck im österreichischen Lienz zu sehen. 

Schloss Bruck ist die ehemalige Residenz der Grafen von Görtz. Das Konzil von Nicäa, das Kaiser Konstantin für das Jahr 325 einberufen hat, fasste im Credo die christlichen Grundaussagen zusammen. Ein späteres Konzil von Nicäa kennzeichnete die Rolle des sakralen Bildes und seine Bildfreundlichkeit. Kunst und Religion lassen das Potenzial erkennen, das Zugleich von Zeitlichem und Ewigem sich abzeichnen zu lassen. Die Kunstwerke in der Ausstellung verweisen auf das erste Ökumenische Konzil von Nicäa, dessen 1700 Jahre-Jubiläum im Jahre 2025 begangen wird. Im selben Jahr jährt sich zu 60. Mal das Ende des II. Vatikanischen Konzils.

Die Ausstellung entfaltet die Wechselgesänge zwischen dem Körperlichen und Geistigen, jene Wendungen der „Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt“, wie Peter Handke eines seiner Gedichte überschreibt. Die Auswahl der Werke in den zwölf Etappen der Ausstellung findet ein Echo in der Aussage der Künstlerin Vija Celmis, die einmal zur Arbeit mit dem Bild gesagt hat: „Es ist etwas Tiefes, mit einem Material zu arbeiten, das fester ist als Worte, und es geht dabei um einen anderen, rätselhafteren Ort.“

Neben dem Klever Andy Warhol sind auch Kunstwerke weiterer Künstlerinnen und Künstler zu sehen:

  • Francesco Clemente
  • Gerald Domenig
  • Marlene Dumas
  • Nan Goldin
  • Goudji
  • Volker Hildebrandt
  • Rebecca Horn
  • Alexej von Jawlensky
  • Raimer Jochims
  • Axel Kasseböhmer
  • Thomas Locher
  • Christiane Löhr
  • Duane Michals
  • Rune Mields
  • Omar Mismar
  • Santu Mofokeng
  • Hermann Nitsch
  • Yszid Oulab
  • Nicole van den Plas
  • Susi Pop
  • Gustav Seitz
  • Kiki Smith
  • Manfred Stumpf

[verfasst von Hubert Salden, Kurator der Ausstellung; online gestellt von Valentina Vlašić]

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Hauptleihgeber für die erste große Achilles Moortgat-Retrospektive seit über 40 Jahren

Das Museum Kurhaus Kleve und sein Förderverein, der Freundeskreis Museum Kurhaus und Koekkoek-Haus Kleve e.V., sind die Hauptleihgeber für die erste große Retrospektive seit über 40 Jahren über das Leben und Werk von Achilles Moortgat (1881–1957), die vom 11. Mai bis 6. Juli 2025 im Städtischen Museum in Kalkar zu sehen ist. 

Der aus Belgien stammende Künstler lebte und arbeitete über drei Jahrzehnte lang am Niederrhein, wo er nicht nur durch Kunstwerke im öffentlichen Raum zahlreiche Spuren hinterlassen hat. Der junge Joseph Beuys (1921–1986) war von ihm und seinem Atelier höchst angetan, den er für seinen Lebensweg nachhaltig beeinflusste.

Achilles Moortgat ist ein Hauptvertreter historistischer Malerei und Bildhauerei am Niederrhein, die mehrere Jahrzehnte lang unmodern war, sich jüngst aber wieder einer zunehmenden Popularität erfreut. Moortgats Werke – Skulpturen und Gemälde – fanden daher damals wie heute einen großen Anklang in der Bevölkerung. 

Das Museum Kurhaus Kleve als städtisches Museum und sein Freundeskreis besitzen den größten Bestand an Skulpturen, Gemälden und Archivalien über den Künstler, der erst unlängst erweitert werden konnte (siehe ein Vermächtnis ->hier).

Eine ausführliche Biographie über den Künstler sowie seine Werke (von denen noch nicht alle online abrufbar sind) sind auf der Sammlungswebsite des Museum Kurhaus Kleve ->hier abrufbar.

Weitere Informationen über die Ausstellung in Kalkar sind ->hier verfügbar. 

[verfasst von Valentina Vlašić]

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Sensationsausleihe aus Kleve: Quellinus’ „Pallas Athene“ geht für die 750-Jahr-Feier von Amsterdam 2025 in den Königlichen Palast

Nach der Ausleihe des „Handtuchhalters mit Liebespaar“ 2024/2025 an den Louvre in Paris (weitere Infos ->hier) handelt es sich hierbei um die zweite Sensationsausleihe aus Klever Museumseigentum innerhalb kurzer Zeit: Anlässlich der 750-Jahr-Feier der Stadt Amsterdam im Jahr 2025 kooperieren der Koninklijk Paleis und das Rijksmuseum Amsterdam für die große Retrospektive „Artus Quellinus. Meister des lebendigen Marmors“ (Arbeitstitel), die im Königlichen Palast zu sehen sein soll. Eröffnet wird die Ausstellung am 17. Juni 2025 von Seiner Majestät König Willem-Alexander, die bis zum 27. Oktober 2025 zu sehen sein wird. Erwartet werden 200.000 Besucherinnen und Besucher. Dafür leihen die beiden Institutionen das Hauptwerk des Bildhauers aus Klever Museumseigentum: die monumentale „Pallas Athene“, das größte und teuerste Kunstwerk der Sammlung.

Zum ersten Mal kann ein breites und internationales Publikum den berühmten Antwerpener Bildhauer Artus Quellinus d.Ä. (1609–1668) in einer umfassenden Ausstellung sehen, die sämtliche Aspekte seines Werks beleuchten wird. Die aktuellsten kunsthistorischen Forschungen treffen hier auf die greifbare Präsenz seiner überwältigenden Skulpturen. Die Skulptur des 17. Jahrhunderts, die selten Gegenstand von Ausstellungen ist, erhält hier im wörtlichen und übertragenen Sinne das Fundament, das sie verdient. Damit dieses ambitionierte Projekt ein Erfolg wird, darf die monumentale Skulptur der „Pallas Athene“ aus der Sammlung des Museum Kurhaus Kleve nicht fehlen, die einen der absoluten Höhepunkte in seinem Schaffen darstellt.

Artus Quellinus d.Ä. ist einer breiten Öffentlichkeit kaum bekannt. Dabei gehört er zu den größten Bildhauern seiner Zeit. Er begann seine Karriere in seiner Heimatstadt Antwerpen und arbeitete eine Zeit lang in Rom, bis er vor allem als Bildhauer des neuen Rathauses in Amsterdam, des heutigen Königlichen Palastes, Furore machte. Zwischen 1650 und 1665 versah er die Fassaden und den gesamten Innenraum mit Skulpturen aus Marmor und Bronze. Wer den Königlichen Palast besucht, betritt Quellinus’ absolutes Meisterwerk: eine reiche Sammlung von Skulpturen voller Geschichten und überraschender Details, die auch nach mehr als 350 Jahren nichts von ihrer Überzeugungskraft verloren haben.

Im festlichen Jubiläumsjahr Amsterdams ist die Ausstellung hier, im Herzen der Stadt und buchstäblich mitten in Quellinus Meisterwerk, genau am richtigen Platz. Im Königlichen Palast wird die „Pallas Athene“ mit einer Vielzahl spektakulärer Leihgaben interagieren: Werke von imposanter Größe werden neben kleinen, intimen Skulpturen aus verschiedenen Materialien zu sehen sein, ergänzt durch Gemälde, Zeichnungen und Drucke. Mit Meisterwerken aus bedeutenden internationalen Museums-, Kirchen- und Privatsammlungen wird das Œuvre von Quellinus in seiner ganzen Vielseitigkeit beleuchtet sein. Von frühen figürlichen Arbeiten im dynamischen Stil des Stadtgenossen Rubens bis hin zu monumentalen Projekten für Kirchen und Monarchen. Und von unvergleichlichen Porträtbüsten mächtiger Regenten bis zu liebenswerten Putten- und Tierstatuen.

Besonders hervorzuheben sind die zahlreichen Skizzen und Modelle in Terrakotta für die Skulpturen des Rathauses. Es sind gerade diese Vorstudien, die den Künstler so nahe bringen, als würde man ihm über die Schulter schauen. Die Ausstellung schließt mit erfolgreichen ehemaligen Kollegen und Schülern wie Rombout Verhulst, Bartholomäus Eggers und Giusto le Court. Ihre Werke zeigen, wie Quellinus’ Einfluss auf die Bildhauerei in den Niederlanden und weit darüber hinaus weiterwirkte. 

Es ist nicht das erste Mal, dass die Klever Skulptur der „Pallas Athene“ auf Reisen geht. Sie wurde bereits 1994 an den Königlichen Palast ausgeliehen, zur damaligen, weitaus kleiner konzipierten Ausstellung über den Künstler. Damals wurde sie im Innenhof des ehemaligen Rathauses gezeigt. Bei der Ausstellung 2025 soll sie einen absoluten Ehrenplatz innerhalb des Gebäudes erhalten, umgeben von der imposanten und einzigartigen Wanddekoration des Künstlers. Die 1994 von Museumsphotographin Annegret Gossens erstellte Photo-Serie dokumentiert den damals spektakulären Monumentaltransport, der sich 2025 vielleicht ähnlich geartet wiederholen wird.

[verfasst von Valentina Vlašić]

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Campendonk & Klee aus Kleve im Gustav-Lübcke-Museum in Hamm zu sehen

Von 24. Mai bis 28. September 2025 stellt das Gustav-Lübcke-Museum Hamm mit der Ausstellung „In aller Freundschaft! Heinrich Campendonk: Ein Blauer Reiter im Deutschen Werkbund“ eine bisher wenig beachtete Moderne um Campendonk in den 1920er Jahren in den Mittelpunkt. Im Fokus steht Campendonk mit seinen vielfältigen Kontakten. Mit wem hat er sich ausgetauscht? Welche Künstler*innen haben ihm beeinflusst? Welche Spuren hat sein soziales Netzwerk in seinem künstlerischen Werk hinter­lassen? Die Ausstellung geht Verflechtungen, Inspirationen und Diskursen nach und zeigt, wie sich Campendonks Werk im Spannungsfeld der modernen Kunstströmungen des frühen 20. Jahrhunderts verorten lässt. Das Museum Kurhaus Kleve freut sich, dafür zwei Arbeiten aus seiner Sammlung und der Sammlung des Freundeskreises beitragen zu dürfen. 

Der Schwerpunkt der Ausstellung liegt auf der Weimarer Republik, einer Zeit, in der Campendonk als gereifte Künstlerpersönlichkeit besonders vielfältig tätig war. Ohne das Staffeleibild je ganz zu verwerfen, prägt eine Gattungsvielfalt sein Schaffen, das von einer modernen Kunstauffassung zeugt.

Die Ausstellung möchte durch die Werkauswahl darlegen, dass diese Vielfalt an Techniken und Materialien durch persönliche und künstlerische Kontakte angeregt wurde. Darum werden Campendonks Werke mit denjenigen seiner Künstlerfreunde in Zwiesprache gezeigt. Zentrale Bedeutung haben dabei vor allem Johan Thorn Prikker, August und Helmuth Macke, Heinrich Nauen und Paul Klee. Basierend auf der aktuellen Forschung visualisiert die Ausstellung die fruchtbaren Ergebnisse des intermedialen Arbeitens dieser Zeit und nimmt so eine Moderne in den Blick, die sich abseits des Bauhauses ebenfalls mit den Ideen der Gestaltung aller Lebens­bereiche beschäftigte. 

Neben dem Schwerpunkt auf den 1920er Jahren kontextualisieren weitere Kapitel in der Aus­stellung diese Schaffensphase in das Gesamtwerk Campendonks. So wird ebenfalls ein Ein­blick in seine frühe Zeit in Krefeld, die Zeit im Kreis der „Blauen Reiter“ sowie in sein Schaffen nach seiner Emigration 1933 gegeben.

->Die Ausstellung wird kuratiert von der freien Kunsthistorikerin und Thorn-Prikker-Expertin Dr. Christiane Heiser (die auch jüngst Co-Kuratorin der großen Retrospektive „Ewald Mataré: KOSMOS“ im Museum Kurhaus Kleve war) und Ronja Friedrichs, stellv. Direktorin und Leiterin der Sammlung Bildende und Angewandte Kunst am Gustav-Lübcke-Museum. Zur Ausstellung erscheint ein Katalog, der mit Aufsätzen u.a. von Gisela Geiger (ehemalige Direktorin des Museum Penzberg) und Diana Oesterle (LMU München) aktuelle Forschungsergebnisse veröffentlicht. 

[verfasst von Dr. Christiane Heiser und Valentina Vlašić]

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Nach „KOSMOS“ geht Ewald Mataré von 2025 bis 2027 auf groß angelegte Deutschlandreise

Die weithin beachtete Gesamtretrospektive „Ewald Mataré: KOSMOS“ ging am 9. März 2025 zu Ende. Doch danach verschwinden die kostbaren Kunstwerke des Namensgebers des Museum Kurhaus Kleve – Ewald Mataré-Sammlung jedoch nicht etwa wieder im Depot, sondern gehen auf groß angelegte Deutschlandreise. Drei angesehene Museen mit einem Fokus auf der Kunst des 20. Jahrhunderts zeigen in der Ausstellung „Nichts ohne Natur. Tierplastiken von Ewald Mataré“ das Beste vom Besten aus der Ewald Mataré–Sammlung in Kleve.

Ausgeliehen werden nur die Höhepunkte aus der Ewald Mataré–Sammlung im Museum Kurhaus Kleve. Sämtliche Topstücke aus dem Eigentum des Klever Museums und seines Freundeskreises gehen auf Tournee, insgesamt sage und schreibe 80 Skulpturen, Aquarelle, Holzschnitte und Zeichnungen – die sogar ergänzt werden durch die für „Ewald Mataré: KOSMOS“ produzierte Spezialanfertigung der „Großen liegenden Kuh“. Dabei handelt es sich (ganz nebenbei) übrigens auch um die größte Ausleihe von Kunstwerken aus der Sammlung seit dem Bestehen des Museums. 

Der Fokus der Ausstellung „Nichts ohne Natur“ liegt auf dem Tier und – wie bei Mataré nicht anders zu erwarten – vor allem auf der Kuh, doch auch skulpturale Ikonen von Kopf und Körper wie bspw. „Weiblicher Kopf (Hanna H.)“ oder „Schreitende / Torso“ ergänzen die delikate Auswahl. 

Bereits am 27. März 2025 eröffnet das Kunsthaus Dahlem in Berlin die Schau, die 2026 im Ernst Barlach Haus in Hamburg und zuletzt schließlich im Museum Lothar Fischer in Neumarkt in der Oberpfalz zu sehen sein wird. Die genauen Ausstellungsdaten und Links der Museen sind wie folgt: 

Die Vermittlung kam über die Arbeitsgemeinschaft Bildhauermuseen und Skulpturensammlungen e.V. zustande. Die Verknüpfungen zwischen diesen Museen und Kleve sind vielfältig und augenscheinlich. Alle drei Häuser sind spezialisiert auf der Kunst und vor allem der Bildhauerei des 20. Jahrhunderts. Ernst Barlach (1870–1938) ist eine Generation wie Ewald Mataré und teilte u.a. ein ähnliches Schicksal wie er (beispielsweise durch die Verfemung als „entarteter“ Künstler). Er ist u.a. mit einer Keramikskulptur in der Klever Sammlung vertreten (siehe ->hier). Der zwei Generationen später geborene Lothar Fischer (1933–2004) war wie Mataré Bildhauer, dessen viel beachtete Werke sich auch in der Sammlung des Museum Kurhaus Kleve befinden (siehe ->hier). 

Das Kunsthaus Dahlem widmet sich der Kunst der deutschen Nachkriegsmoderne mit einem Schwerpunkt auf Skulpturen zwischen 1945 und 1961. Es wurde im Sommer 2015 eröffnet und hat seinen Sitz im für Arno Breker gedachten, von ihm aber kaum benutzten Atelier im Berliner Ortsteil Dahlem. Das Ernst Barlach Haus – Stiftung Hermann F. Reemtsma ist ein im Hamburger Jenischpark gelegenes Kunstmuseum, das dem expressionistischen Künstler Ernst Barlach und seinen Werken gewidmet ist und daneben auch wechselnde Ausstellungen präsentiert. Stifter des Hauses ist der Industrielle Hermann F. Reemtsma. Das Museum Lothar Fischer ist ein Museum in Neumarkt in der Oberpfalz, das sich vor allem mit dem Werk des Künstlers Lothar Fischer befasst.

Dass die Werke von Ewald Mataré in anderen Museen in Deutschland auf ein derartiges Interesse stoßen, ist ein großes Geschenk für Kleve und trägt maßgeblich zur Verbreitung des Ansehens des Künstlers und der Ewald Mataré–Sammlung in Kleve bei. Es erscheint ein Katalog zur Ausstellung „Nichts ohne Natur. Tierplastiken von Ewald Mataré“ (Deutsch/Englisch), der in den ausstellenden Museen käuflich zu erwerben sein wird. 

[verfasst von Valentina Vlašić]

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Die große Retrospektive aus der Sammlung, „Ewald Mataré: KOSMOS“, endete mit Besucherrekord

Noch nie zuvor war mehr „Mataré“ zu sehen als bei der großen Retrospektive „Ewald Mataré: KOSMOS“, die vom 27. Oktober 2024 bis 9. März 2025 im Museum Kurhaus Kleve – Ewald Mataré-Sammlung präsentiert wurde. Weit über 600 Kunstwerke und Archivalien aus der gesamten Lebenszeit des Künstlers (1887–1965) sowie alle Gattungen waren ausgestellt – auf allen Etagen und in sämtlichen Wechselausstellungsälen. Die Schau endete nun mit einem Besucherrekord: Fast 10.200 Gäste kamen in das Klever Museum, um die Werke seines Namensgebers zu sehen. Das hatten zuvor zwar schon wenige andere Ausstellungen in diesem Zeitraum erreicht (u.a. Alberto Giacometti, Mark Tansey, Govert Flinck). Mit ausschließlich Sammlung war das jedoch bislang noch nie der Fall, wodurch diese Besucherzahlen als Premiere und als ganz besonderer Glücksfall angesehen werden dürfen. 

Was waren die Faktoren für diesen Erfolg? Neben der geradezu idealen Ausgangslage mit Vermächtnis und Schenkung (weitere Infos siehe ->hier) haben folgende Punkte in der Ausstellungskonzeption sicherlich dazu beigetragen: 

  • Die Fokussierung auf die absoluten Kernkompetenzen des Museums, nämlich auf das Leben und Werk des Namensgebers Ewald Mataré, dessen künstlerischer Nachlass 1988 von seiner Tochter Sonja Mataré (1926–2020) der Stadt Kleve übergeben worden war und u.a. zur Gründung des Städtischen Museums im ehemaligen Kurhaus beitrug. Ebenfalls von Bedeutung waren die identitätsstiftenden Elemente aus der Geschichte der Stadt Kleve, die u.a. 1938 Matarés „Toten Krieger“ zerstörte und verscharrte. Hier konnte das Museum aus dem Vollen schöpfen und bislang wenig oder sogar völlig unbekannte Werke und Verknüpfungen aufzeigen. 
  • Das schöne Mittel aus sowohl ansprechender als auch anspruchsvoller Kunst der Klassischen Moderne, die nicht nur ein elitäres Publikum, sondern die Breite der Gesellschaft zu einem Museumsbesuch animierte. Für heutige Generationen geradezu brandaktuell scheint Mataré durch seine Liebe und Hingabe zu Tieren und vor allem Kühen und durch seine Verbindung zur Natur zu sein.
  • Die maßgeblichen Förderungen durch Landes- und Bundesmittel, durch die nicht nur die Ausstellung, sondern auch inhaltlich wichtige Erwerbungen, Publikationen, Personalförderungen und vorherige Restaurierungen finanziert werden konnten. Die Reihe der Fördermittelgeber ist das Who-is-Who der Kulturförderung in Deutschland und reicht vom Düsseldorfer Landesministerium bis hin zur Kulturstiftung der Länder in Berlin (eine vollständige Liste ist ->hier am Ende des Beitrags abrufbar).
  • Die Kombination von kunsthistorischem Know-how vor Ort als auch von außen. Durch Co-Kuratorin und 20. Jahrhundert-Expertin Dr. Christiane Heiser wurden die öffentlichen Aufträge Matarés so ausführlich wie noch nie zuvor museal inszeniert und präsentiert.
  • Die Installation einer reichen, gattungsübergreifenden Themen-Ausstellung, die nicht nur Kunstwerke und Archivalien berücksichtigte, sondern auch Zitate des Künstlers, ausführliche Beschriftungstafeln und Familienmitglieder miteinbezog. Die von den Farben von Matarés Atelierhaus in Meerbusch-Büderich inspirierte Ausstellungsarchitektur wurde vom renommierten Typographen Ingo Offermanns realisiert – die übrigens nachhaltig angelegt wurde und problemlos für erneute Präsentationen wieder benutzt werden kann. 
  • Ein reiches pädagogisches Programm, das die Jüngsten nicht nur punktuell im Rahmen von Einzelveranstaltungen zum Museumsbesuch animierte, sondern die gesamte Ausstellungsdauer über für kindgerechte Abwechslung sorgte. Die Worpsweder Kulturpädagogin Kathrin Klug installierte einen atmosphärischen Aufenthaltsraum für Kinder, in dem sich nicht nur Mobiliar in Kinderformat und eine Lampe mit Mataré-Kühen befand, sondern in dem auch mit Tangram geometrische Kühe gelegt und kindgerechte Texte in einfacher Sprache über das Leben und Werk Matarés gelesen werden konnten. Das Prunkstück dieses Saales bildete jedoch sicherlich die sogenannte Riesenkuh von Ewald Mataré aus der Hand der Julius Fröbus GmbH., die sowohl Kinder als auch Erwachsene zum Sitzen, Liegen oder einfach Fühlen der Form animierte. 
  • Ein umfassendes Veranstaltungsprogramm mit über 40 Angeboten, das nicht nur aus klassischen Formaten wie öffentlichen Führungen und Workshops bestand, sondern u.a. auch aus Spezialvorträgen, musikalischen Auftragskompositionen, Kurzfilmabenden, Videokonferenzangeboten und institutionellen Querformaten (z.B. zwischen Tiergarten und Museum oder „Tierisches Yoga“ der VHS-Kleve, was beim Künstler der Kühe – also Mataré – so offensichtlich war wie noch nie zuvor). 
  • Eine Intensivierung der social media-Präsenz durch im Vorfeld realisierte Kurzfilme zum Leben und Werk Matarés, die die Photographin und Filmemacherin Kirsten Becken für die Schau konzipierte. 
  • Maßgeschneiderte Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, die in Kooperation zwischen Museum Kurhaus Kleve und externen Dienstleistern wie den Deutschland-Niederlande-Experten mediamixx in Kleve und die auf internationale Kunst und Kultur spezialisierte Kathrin Luz Communication in Köln realisiert wurde. 

Dass durch die Klever Schau auch noch eine Ausstellungstournee der Werke Ewald Matarés angeregt werden konnte (weitere Infos ->hier), durch die es zur größten Ausleihe der Klever Museumsgeschichte sowie zur größten Ausstellung der Werke Matarés außerhalb Kleves kommen konnte, ist sicherlich ebenfalls als Erfolg (und Sahnehäubchen obenauf) zu werten.

Dass es zudem (Vorsicht, Spoiler!) – u.a. auch durch die Klever Ausstellung angeregt – Ende diesen Jahres zu einem Mataré-Film im Fernsehen und Kino kommen wird, sicherlich ebenso. Hierzu aber erst zum gegebenen Zeitpunkt mehr …

[verfasst von Valentina Vlašić]

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125. Geburtstag der bedeutenden deutschen Keramikerin Ursula Fesca (1900–1975)

In seiner breiten Sammlung besitzt das Museum Kurhaus Kleve weit über hundert Kunstwerke aus allen Schaffensperioden der bedeutenden deutschen Keramikerin Ursula Fesca (1900–1975), die am 1. März 2025 ihren 125. Geburtstag gefeiert hätte. Um auf ihr Leben und Wirken sowie ihr breites Œuvre aufmerksam zu machen, widmet ihr das Museum Kurhaus Kleve den folgenden Beitrag:

Ursula Fesca wurde am 1. März 1900 im sächsischen Hohenbucko (Kreis Schweinitz) geboren und hat nach ihrer Schulzeit an der „Kunstschule des Vereins der Berliner Künstlerinnen“, einer Zeichen- und Kunstgewerbeschule in Berlin, studiert. Sie nahm 1925 ihre Arbeit bei den Steingutfabriken Velten-Vordamm GmbH in Vordamm (Mark Brandenburg) auf. 

Theodor Bogler (1897–1968), der am Bauhaus in Weimar bei Lyonel Feininger (1871–1956) studiert hatte und von 1925 bis 1926 die Modell- und Formenwerkstatt der Vordammer Fabrik leitete, sowie Fescas Mentor Hermann Harkort (1881–1970), der die Bauhausidee ständig vorantrieb, förderten und beeinflussten ihr großes Talent. 

Auf der „Ausstellung neuer Märkischer Keramik“ stellte Ursula Fesca erstmals ein Kinderservice mit Kinderszenen in Schablonendekor vor, das neben anderen Schmuckgefässen starke Beachtung fand. Hier ist es ihr erstmalig gelungen, die Produktionspalette einer großen Firma entscheidend zu verändern. Dies gelang ihr u.a. durch majolikaähnliche, einfarbige Mattglasuren in Rot, Blau und Schwarz, durch innovative Neuerungen bei den Schablonendekoren, der Weiterentwicklung der craquelierten Glasuren, oder Kombination von Streifendekoren und schwarzgrauen feinen Linienzeichnungen, teils geometrisch, teils floral sowie durch einige andere Veränderungen der Produktionslinie. Das Modellbuch der Vordammer Steingutfabrik von 1927/28 belegt etwa 90 Fesca-Entwürfe. Alle sind durch kräftige und gelegentlich auch etwas derbe Formen gekennzeichnet. Sie wurden mit verschiedenen Dekoren und Glasuren angeboten.

Nach dem Weggang von Bogler traf sie dort auf Hedwig Bollhagen (1907–2001), die die Leitung der Malerabteilung übernommen hatte und eine Reihe von Streifen- und Strichdekoren entwarf.

Ursula Fesca hat in der Steingutfabrik Velten-Vordamm GmbH bis 1928 gewirkt und mit ihren Arbeiten dem Werk zum Anschluss an die moderne Entwicklung verholfen. Hier sammelte sie erste Erfahrungen bei herausragenden Keramikerinnen und Keramikern. Diese Kenntnisse sollte sie später in der Wächtersbacher Steingutfabrik voll entfalten.

Reinhardt Korsukewitz, der Besitzer und Direktor der Steingutfabrik Elsterwerda, holte Ursula Fesca im Jahr 1928 als künstlerische Leiterin in seine Fabrik. Sie entwickelte dort einen im Unterschied zu Vordamm freieren künstlerischen Stil mit Mattglasuren und teils verlaufenden Linien- und Streifendekoren sowie stilisierten Blattmotiven.

Nach Auflösung der Kunstabteilung im Jahr 1928/29 hatten die Verantwortlichen des Schlierbacher Werkes für Wächtersbach eine neue Innovationskraft als künstlerische Nachfolge gesucht, die das durch die Wirtschaftskrise angeschlagene Unternehmen wieder in die Gewinnzone führen sollte. Ursula Fesca hatte bereits in zahlreichen Artikeln in der Fachpresse und bei Ausstellungen auf sich aufmerksam gemacht und so war das Talent der inzwischen bekannten Keramikgestalterin den Verantwortlichen der Wächtersbacher Steingutfabrik nicht verborgen geblieben. Ursula Fesca wurde im August 1931 in der Wächtersbacher Steingutfabrik, Schlierbach als künstlerische Leiterin eingestellt. 

Ihre ersten Entwürfe für Teegeschirre – die Modelle „Amsterdam“, „Haarlem“, „Köln“ und „Bonn“ – setzten neue Akzente in der Produktion. Sie gelten heute noch als Designklassiker und genießen in den Kreisen von Sammler*innen und Keramiker*innen höchste Wertschätzung. Zahlreiche nationale und internationale Museen haben sie gekauft und in ihre Sammlungen integriert. 

In der Zeit des Nationalsozialismus waren die extravaganten und zum Teil futuristisch anmutenden Formen des Bauhauses nicht mehr gefragt. Die Reichskulturkammer nahm zunehmend Einfluss auf Produktion und Zeitgeschmack. Die avantgardistischen Modelle galten oftmals als „entartet“ und aus diesem Grund wandte sich Fesca einer anderen Produktlinie zu. Florale, oftmals schlichte (Rillen-) Dekore bestimmten nun die Produktion der sog. „Volksdeutschen Heimatkunst“.

Um 1939 verließ Ursula Fesca ihre neue Heimat im Brachttal und kehrte erst nach dem Zweiten Weltkrieg wieder aus Berlin zurück nach Schlierbach. In der Steingutfabrik wurden zunächst nur Gegenstände mit schlichten Dekoren und Gebrauchsgeschirre produziert. Essgeschirre mit grüner Ränderung waren für die unmittelbare Nachkriegszeit typisch. Ende der 1950er Jahre entwarf Fesca das Dekor „Pisa“. Das in einem sehr aufwändigen Herstellungsverfahren produzierte Dekor erfreute sich bundesweit großer Beliebtheit und entwickelte sich rasch zur Designikone der 1950er Jahre.

Schnell konnte Ursula Fesca mit ihren frischen Form- und Dekorentwürfen an ihre Erfolge der frühen 1930er Jahre anknüpfen. Mit ihrer Einstellung in der Wächtersbacher Steingutfabrik entstand eine neue und kreative Kontinuität, die dem Unternehmen zu neuem Aufschwung verhelfen sollte. Die talentierte Kunstkeramikerin hatte genügend Ideen hierzu und das nötige Know-How mit nach Schlierbach gebracht. Für deren Umsetzung hatten auch der Modelleur Walter Reuel, der bereits 1928 in die Steingutfabrik eingetreten war und der Chemiker Franz Eggert, den sie bei ihrer Tätigkeit in Elsterwerde kennen und schätzen gelernt hatte, gesorgt. Ihr Wirken beeinflusste die gesamte Produktionslinie der Wächtersbacher Steingutfabrik bis weit in die 1960er Jahre maßgeblich.

Ursula Fesca starb am 9. Juni 1975 in Schlierbach. Dort hat sie an der Wächtersbacher Keramikfabrik über 30 Jahre lang mit ihren stilprägenden Form- und Dekorentwürfen die Produktionslinie nachhaltig geprägt. Ihre vielfältigen Glasur- und Dekorationstechniken beeindrucken noch heute. 

[Text freundlicher Weise zur Verfügung gestellt von Ulrich Berting, Museum Wächtersbacher Keramik in Schlierbach, z.T. überarbeitet von Werner Steinecke, Sammler u.a. der Werke von Ursula Fesca; online gestellt von Valentina Vlašić]

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