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Maler*in (Ausführung): Werner Wefers (1952–2001)

Künstlertitel: Ohne Titel

Datierung: 1996 (Herstellung)

Museum: Museum Kurhaus Kleve

Typ: Kunstwerk

Gattung: Gemälde

Inventar Nr.: 2001-07-07

Katalogtext

Werner Wefers, der 2001 an AIDS gestorben ist, hinterlässt ein Werk, das er über mehr als zwanzig Jahre entwickelte und das in den letzten fünf Jahren seines Lebens zu einer thematischen Konzentration führte, in der die Blume ein zentrales Motiv und der Gegenstand seiner malerischen Reflexion war. Dadurch hat er sich ein Arbeitsterrain erschlossen, das thematisch tief in der Kunstgeschichte verwurzelt ist und seit der Erfindung der Malerei in zahllosen Formulierungen und auf unterschiedlichen Ebenen zahllose Künstler beschäftigt hat.

In der großen Zeit der Blumenmalerei, dem späten 16. und dem frühen 17. Jahrhundert, widmeten sich vor allem die holländischen und flämischen Maler der Blume. Zwei zeittypische Aspekte vereinen sich in ihren Zeichnungen, Gouachen und Gemälden. Für die Neugierde des Zeitalters der Entdeckungen charakteristisch ist das Verlangen, neue, exotische Pflanzen und Blumen kennenzulernen und darzustellen. Die schönsten Kollektionen exotischer Blumen finden sich in den Gärten der Fürstenhöfe und reichen Bürger*innen und diese werden dann auch in den Landschaftsbildern eines Jan Brueghel oder als Schnittblumen in den großen Vasenbouquets von Malern wie Ambrosius Bosschaert dargestellt.
Kurz nach der Mitte des 16. Jahrhunderts kommt aus dem vorderen Orient die Tulpe nach Europa und löst in Holland zu Anfang des 17. Jahrhunderts einen wahrhaftigen Tulpenrausch aus, die „Tulipomania“. Ihre Ursprünge waren nicht ästhetischer Art, sondern vor allem ökonomischen Charakters. Der Handel mit Tulpen führte schon bald zu Phantasiepreisen und erwies sich somit als Vorläufer unserer Aktienwirtschaft. Der Tulpenhandel war ein rein abstraktes Geschäft, da die Blüte sehr kurzlebig war, sich nur einmal im Jahr präsentierte und die Käufer nur die Zwiebeln erwarben. Dies führte zu einer großen Beteiligung von Künstler*innen, da der Handel sich notgedrungen auf die Zwiebel beschränkte und nur die Maler*innen durch exakte „Konterfeys“ auf das Aussehen der Blüten aufmerksam machen konnten, so dass die Gemälde den Tauschwert der Zwiebel bestimmten. Die Mannigfaltigkeit und das Einmalige der Blüten war wesentlich für ihren wirtschaftlichen Wert, der um 1630 so hoch war, dass die Tulpen einzeln verkauft wurden. Dieser hohe Wirtschaftswert führte schon schnell zu Züchtungen neuer Blüten, wodurch die Typenvielfalt der Blüten gesteigert wurde und die Bedürfnisse des Handels, der nach der Seltenheit der Gattung urteilte, befriedigt wurden. Die Neuzüchtungen erhielten besondere Namen, die auf das Kostbare ihrer Blüte aufmerksam machen sollten (z.B. „Admiral van Enckhuysen“, „Paragon van Delft“). Zahlreiche Künstler*innen wurden engagiert, um diese seltenen Blüten darzustellen. Ihre Zeichnungen und Gouachen dienten sowohl den Verkäufer*innen wie den Käufer*innen. Es wundert nicht, dass die Malerin Judith Leyster, die die meisten und schönsten Tulpenporträts gezeichnet hat, aus Haarlem stammt, wo ganz in der Nähe riesige Blumenfelder hinter den Dünen angelegt wurden. In dieser Region konzentriert sich noch heute die Blumenzüchtung und lockt der Keukenhof jährlich Millionen von Besucher*innen.

Die künstlerischen Blumenporträts, die bis in die kleinsten Details ausgearbeitet waren, fungierten zunächst wie die Musterbücher des frühindustriellen Zeitalters und stellten Surrogate für real noch nicht gemachte Erfahrungen optischer und sinnlicher Art dar. Die Darstellung der Blüten brachte den Betrachter*innen - Händler*innen wie Käufer*innen - eine Ästhetik näher, die in Wirklichkeit kurzlebig und äußerst selten ist und diese dauernd präsent macht. Die sinnliche Konnotation der Blumen als Vorboten oder Versprechen von wirklichen Erfahrungen führt auch heute noch zu unterschiedlichsten Blumendarstellungen, z.B. den bunten Postkarten mit farblich übersteigerten Blumen, die zu besonderen Anlässen verschickt werden und Freude, Zuneineigung oder Liebe ausdrücken sollen.

Werner Wefers arbeitete im Schloss Ringenberg in Hamminkeln. Nur einige hundert Meter nördlich dieses Ortes rasen Tag für Tag schwere niederländische Lastkraftwagen voller Blumen - vor allem Tulpen und Hyazinthen - über die A3 von Holland zum Ruhrgebiet, nach Berlin oder München. Es sind extra lange, gekühlte LKW, die die kostbare Ware in möglichst frischem Zustand abliefern. Blumen, mit ihren prachtvollen, verlockenden Farben dürfen nicht welk werden. Sobald sie ihre Frische und damit ihre Schönheit verlieren, sind sie wertlos. Die Attraktivität von Blumen hat im Laufe der Zeit in der visuellen Attraktivität ihrer Darstellung eine Entsprechung gefunden. Und sowie die von Künstlerhand geschaffenen Kunstwerke mannigfaltig sind, so haben die Blumenzüchter im Laufe der Jahrhunderte die Blumen verschönert, neue Arten geschaffen und die Farben gesteigert. Ihre Arbeit verstärkt das Prinzip der Natur und erhöht die Signalwirkung der Blumen, allerdings in der Hoffnung auf wirtschaftlichen Erfolg. Die Natur wird also durch künstliche Eingriffe erhöht. Die Übersteigerung wirkt letztendlich wie ein Manierismus, der in der visuellen Pracht und in dem Duft auf raffinierte Weise zum Ausdruck kommt.

In Werner Wefers Blumenbildern ist die Vernetzung der genannten historischen, ökonomischen und ästhetischen Linien ebenso angelegt wie die daraus weiterentwickelte aktuelle Diskussion um das Hybride. Die jüngsten Blumenbilder des Malers stellen phantastische „Züchtungen“ dar - Blumen, deren zahllose unterschiedliche Blüten sich zum Kelch vereinigen und nach dem Prinzip der Collage aus einem Nebeneinander der schönsten, farbigsten Blütenblätter aufgebaut sind. Fast exzentrisch muten die Blumen an, übersteigert in ihrer Schönheit, entworfen aus dem Willen, von Bienen bzw. Betrachter*innen nicht übersehen zu werden, zu gefallen. In ihnen schimmert das brutale evolutionäre Prinzip, dass Schönheit und visuelle Attraktivität die Durchsetzungkraft erhöhen und das überleben sichern. Werner Wefers überführte und thematisierte diese Regel in seinen Blumenporträts, die paradoxerweise den Titel „Camouflage“ tragen - denn nicht die Neigung, sich zurückzuziehen, sich anpassend einzufügen, sondern aufzufallen und zu strahlen bildet ihre herausragende Eigenschaft. Wie ein Züchter potenzierte Wefers die natürlich angelegte Attraktivität und plusterte das Prinzip Schönheit so stark auf, bis die manierierte Übersteigerung ins Absurde kippt und eine exzentrisch-tragische Wirkung zeitigt.

Ähnlich wie in gemalten Porträts liest man in den Blumenbildern von Wefers Stimmungen, Charaktereigenschaften, psychologische Zustände der Porträtierten. Und es ist nicht die Sicherheit, die Sinnlichkeit und die Unschuld der Schönheit, die den Betrachter*innen fasziniert, sondern das Vergängliche, das überkandidelte, das Gecke, das Ausreizende und das Morbide, das in den floralen Wesen steckt. Die Künstlichkeit und Konstruiertheit der Blumenbilder erinnern ein bisschen an Porträts von Stars - aus dem normalen Alltag ausgestiegene Persönlichkeiten, eitle, existentielle, empfindliche, von vielen Seiten beratene und konstruierte Figuren, die für kurze Zeit die Sehnsucht nach dem Außergewöhnlichen, dem Aufgedonnerten, dem Extremen repräsentieren und in denen immer die Tragik des vorübergehenden, augenblicklichen Höhepunktes liegt. „Vanitas vanitatum omnia vanitas est“.

Die in ihrer höchsten Reife dargestellten, zusammengesetzten Blumen sind in ihrem Zentrum markiert durch einen filigran aufsprießenden Stempel oder durch ein in unendliche Tiefen führendes schwarzes Loch. Über mögliche sexuelle Konnotationen, die Blumen als Stellvertreter menschlichen Verlangens kennzeichnen, hinaus verweisen diese zentralen Ausformulierungen auf eine kosmische Dimension, auf eine überirdische Sphäre. Mit ihnen wird die zweidimensionale Malerei in einen unendlichen, ungreifbaren Raum überführt. Die Zivilisation steigert die in der Natur angelegten Prozesse und Strategien und auch Werner Wefers arbeitete mit den Naturformen als grundlegendem Material, das er in einer solch grammatikalisch anmutenden Weise durchdekliniert, dass man fast an Gerhard Richters Farbtafeln denken muss. Denn ähnlich wie bei den unendlich fortsetzbaren Farbtafeln geht es auch bei den Blumenbildern nur um den Beginn einer nimmer endenden Serie von Möglichkeiten. Die in Künstlichkeit getauchte Natur würde nach mathematischen Regeln immer weiter undenkbare Resultate hervorbringen.

Aber selbstverständlich ist es weniger die Mathematik, die Werner Wefers interessierte, sondern die Frage nach der Motivation von Variation, die Frage nach der Voraussetzung für real werdende wilde Phantasien, die unsere Welt hervorbringt. In einer Zeit der uniformen Oberflächen, der egalitären Gestaltungen und der vereinheitlichten Ausformulierungen nahm der Künstler exzentrische Setzungen vor, die eine offensichtlich naive Hoffnung von Individualität in sich tragen und gleichzeitig auf kühl berechnete Außergewöhnlichkeit verweisen. Das Formen­ und Farbvokabular ist ebenso Gottes reicher Schöpfung entnommen wie der Vorstellungskrah der Bio-Chemiker bei Bayer Leverkusen.

Und wie bei Rainer Werner Fassbinder sind auch die Blumen in Werner Wefers Gemälden Schlüsselbilder für entweder eine allgemeine gesellschahliche Situation oder aber für eine spezifische Atmosphäre. Eine Einstellung, die nur eine Anturie zeigt, teilt mehr mit als eine mehrminütige Kamerafahrt durch ein Haus oder eine Siedlung.

Werner Wefers gemalte florale Zwitterwesen stehen in einem eigentümlichen Verhältnis zu etwa seinen Lastwagenbildern, deren geometrische starre Gestalt der banalen Wirklichkeit direkt abgeschaut ist. Ihre nüchterne Massivität leitet sich aus ihrer Funktion ab, und doch bietet das offensichtlich unspektakuläre Motiv eine auf den ersten Blick unerwartete Projektionsfläche. Auf der wiedergegebenen Lastwagen-Plane liest man nicht nur die Firmennamen der Spediteure, sondern erkennt auch ein oder zwei zarte Blümchen, die den Vorbeibrausenden oder im Stau Stehenden über den Inhalt der Fracht aufklären. Die minimalistisch anmutenden Bilder teilen somit den skulpturalen Effekt, den auch die Blumenporträts aufweisen, und bilden darüber hinaus einen wichtigen Teil der dargestellten thematischen Auseinandersetzung mit Ökonomie und Zeit, Angebot und Nachfrage, Künstlichkeit und Natur, der Werner Wefers in dieser letzten Serie vor seinem Tod nachgeht. Die Phänomene Verführung und Reiz bilden die zentralen Aspekte dieser Untersuchung und es ist interessant zu sehen, wie Werner Wefers diese Themen als Mittel einsetzte, und zwar auf eine Weise, dass man ihnen nicht erliegt, sondern sie als Ausgangspunkt für eine eigene Analyse über den Zusammenhang von Artifizialität und Natur oder auch von Kunst und Künstlichkeit aufgreih.

Guido de Werd

Literatur
  • Sorten | Varieties, Guido de Werd, Hamminkeln 2001
Ausstellungen
  • Original & Kontext. Die Sammlung analog + digital, Museum Kurhaus Kleve – Ewald Mataré-Sammlung, Kleve, 30.10.2021 - 27.02.2022
Material/Technik:
Öl auf Leinwand
Maße:
Bildmaß 50 x 40 cm
Signatur/Beschriftung:
Signatur: W.W. 8.1996 (verso signiert und datiert)
Geographischer Bezug:
Kleve (Standort)
Status:
Depot
Creditline:
Museum Kurhaus Kleve – Ewald Mataré-Sammlung, Schenkung Jörg Johnen, Köln
Copyright:
© VG Bild-Kunst, Bonn 2024
Kontakt:
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