Maler*in (Ausführung): Ulrich Erben (*1940)
Künstlertitel: Klever Raum II.
Datierung: 1988 (Herstellung)
Museum: Museum Kurhaus Kleve
Typ: Kunstwerk
Inventar Nr.: 1989-XI-I
EIN RAUM VOLL FARBE: Da ist der Raum – die Türen, die Stuckdecke und die Wand-Vertäfelung. Der schwarze Marmor-Kamin mit dem barockgold-gerahmten Spiegel steht mächtig genau gegenüber der großen, doppelflügeligen Tür. Und da ist die Farbe. Ein Raum voller Farbe. Sie löst in ihren Segmenten, die die Fläche zwischen Sockel und Decke füllen, die Konturen des Raumes auf. Erdbraune Ecken greifen in mattgrüne Segmente, oben, dort wo der Himmel ist, steht ein dunkelblaues, querliegendes Rechteck neben einem orangeroten. Hier und dort begrenzen schmale blaue Streifen Vierecke, an anderer Stelle schwingt sich ein unregelmäßiger Halbkreis wie zu einem grünen Hügel, der wiederum von einem roten Dreieck unterbrochen wird.
Es ist, als öffne sich der Salon in der Beletage des Hauses Koekkoek und lasse den Blick in eine Landschaft aus Farbe schweifen, die teils von den von Menschen geschaffenen, geometrischen Formen, wie sie die Äcker zeigen, oder aber von natürlichen, vom Menschen geschaffenen Formen bestimmt ist - mit sanft schwingenden Kuppen. Hier und da glaubt man auch im kräftigen Rot die Form eines Daches erkennen zu können. An den Raumecken wachsen die Flächen hinüber auf die andere Wandfläche, so dass eine regelrechte Abwicklung, ein Panorama entsteht.
‘Klever Raum’ nannte Ulrich Erben 1988 diese wichtige Installation im Klever Museum Haus Koekkoek, jetzt im ehemaligen Friedrich-WilhelmsBad. ‘Wandbilder für einen Salon im Hause Koekkoek’ war damals die Ausstellung untertitelt. Doch der „Klever Raum“ ist mehr als eine Sammlung von Wandbildern, präsentiert sich doch hier Raum gewordene Farbe oder Farbe gewordener Raum – ohne dabei Struktur und Architektur des Salons zu zerschlagen: Ulrich Erben stimmte die bis zu drei Meter hohen, die Wand restlos ausfüllenden Leinwände auf den Salon ab, verwarf sogar eine Version als zu mächtig und rang bis zuletzt um die Stimmigkeit der Farbe und der Felder.
So steht man also inmitten einer ausgewogenen Farblandschaft, die in ihrer Abwicklung und der Wärme der Farben nicht nur einer formalen, sondern auch einer inhaltlichen Regelung gerecht wird. Sie folgt den Himmelsrichtungen mit einer kühlen Nordwestwand bis zur dunklen, warmtonigen Südostwand: Morgen, Mittag und Abend einer Panoramalandschaft. Eine Landschaft aber, die keine Vertrauten Elemente hat, die unbekannt und voller ungeahnter Bilder ist – ebenso unbekannt wie faszinierend als eine immer wieder neu zu entdeckende Welt der Farben und Formen, in die man sich selbst überlassen hineintaucht und in der man neue Erfahrungen macht. Erfahrungen in einem Raum, der in der Tradition der pompejischen Villen mit ihren ausgemalten Zimmern wurzelt und über die Jungendstil-Zimmer (als Gesamtkunstwerk von Handwerk, Architektur und Malerei), über das Bauhaus und den niederländischen De Stil bis zur jüngsten „documenta“ weist.
„Meine Arbeiten geben sinnliche Wahrnehmungen wieder, stellen sie neu her. Sie gehen von einer transzendentalen Ästhetik aus, in der auch Raum und Zeit Formen der Sinnlichkeit sind und Wahrnehmung Teil von Erkenntnis ist.“ Diese Worte sprach Ulrich Erben 1975, dreizehn Jahre nach seinen ersten venezianischen Landschaftsbildern und dreizehn Jahre vor der Realisierung des „Klever Raums“. Die Sinnlichkeit spielt in all den Jahren dazwischen und bis heute in Erbens Werk eine wichtige Rolle; daher erinnert sich der vielgereiste Künstler an die Gerüche, Farben und Geräusche einer fremden Stadt mehr als an typische Gebäude oder Plätze; daher ist die Perspektive für Erben unwesentlich und ablenkend, um räumlich elementare Situationen erfahrbar zu machen, und daher tritt der gegenständliche Bezug immer zugunsten des malerischen Ereignisses zurück.
Die typischen Bestandteile einer Landschaft und die eigenen Farben einer Region prägen die Bilder Ulrich Erbens, die in direkten Skizzen auf dem „sofort antwortenden Papier“ oder aus der Erinnerung heraus auf der Leinwand entstehen. Die Struktur des Gesehenen wird über die subjektive Wahrnehmung umgesetzt in Farben und geometrische Flächen. Auch die weißen Bilder, mit denen Erben in den frühen 1970er Jahren bekannt wurde, thematisieren das Fläche-Raum-Verhältnis, das verbunden mit der immateriellen Wirkung der Farbe Weiß eher die analytische als die assoziative Betrachtungsweise fordert. „Ohne daß die Perspektive den Raum auf Gegenständliches assoziativ verweist“, malt Erben Bilder, die sich in dieser Zeit von der motivischen Grundlage der dinglichen Wirklichkeit entfernen. „Ein Rechteck, ein Quadrat, einfachste geometrische Form, die mich als geometrische Form nicht interessiert, sondern als eine auf das äußerste reduzierte Fläche. Damit Tatsachen schaffen“. Diese Aussagen Erbens von 1974 weisen schon über die Periode der weißen Bilder hinaus, sie beschreiben die Entwicklung von einer Malweise, die den Baum als Baum darstellt zu der, die ihn durch eine Ellipse charakterisiert.
Gegen Ende der 1970er Jahre wird nach den weißen Bildern der landschaftliche Bezug in seinen Arbeiten wieder deutlicher. Die Neutralität der Farbe Weiß weicht immer mehr einer Farbvehemenz, die zu Bildern führt, bei denen ungemischte Farbe mit einer Anzahl sichtbarer, nebeneinanderliegender Pinselstriche Formen gestalten, die sich monumental und kräftig voneinander und vom weißen Bildgrund absetzen.
Ulrich Erben hat, wie er selbst bezeugt, immer nur ein Thema gehabt: die Landschaft, und so weist seine erste Wandbildinstallation, der „Klever Raum“ im Haus Koekkoek in Kleve, über sich selbst, über den eigentlichen Raum hinaus, auf den Raum Kleve, auf das Umland, die niederrheinische Landschaft, die malerisch im Innenraum umgesetzt ist. Diese inhaltliche und formale Verbindung von Innen und Außen entspringt Erbens intensiver Beziehung zum Niederrhein.
Seit 1966 lebt er auf dem Thomashof in Goch, einem großen Gebäude des 19. Jahrhunderts, das inmitten von Feldern und Wäldern liegt, deren großflächiger Zusammenhang seit kurzem eine Autobahn unterbricht. Hier lebt und arbeitet Ulrich Erben mit „burning desire“, mit der Begierde, intensiv zu existieren und bewußt zu leben, sich selber mit der Arbeit deutlich auszudrücken, d.h. Wirklichkeit als eine erfahrene sichtbar zu machen. Diese Erfahrungen sammelt er auf langen Spaziergängen und Fahrradtouren, bei denen sich die unterschiedlichen Stimmungen der niederrheinischen Landschaft bemerkbar machen: Das Karge oder Üppige, das Heroische oder Bescheidene, die vertikalen oder horizontalen Strukturen stellen sich zu verschiedenen Tages- und Jahreszeiten in ihren Gegensätzen dar.
Auch die Architektur des klassizistischen Haus Koekkoek mit seinen großzügigen Proportionen ist Erben durch das Leben auf dem Thomashof vertraut, was ihm eine wichtige Grundlage für seine Arbeit „Klever Raum“ bot, die im Musiksalon, dem Repräsentationssaal des Erbauers Barend Cornelis Koekkoek installiert wurde. Der zierliche, vergoldete Deckenstuck, der vorspringende Marmorkamin mit dem reich dekorierten Spiegel, drei große Fenster und zwei Flügeltüren bilden die Rahmenbedingungen, denen sich die Bilder Erbens nicht unterordnen, sondern auf die sie eingehen.
Die fast drei Meter hohen Leinwände zeigen Farbfeldkompositionen, die Erben in einem Ensemble von drei Teilen entworfen hat, die der Größe und der Himmelsrichtungen der drei fensterlosen Wände entsprechen. Die intensiven, kräftigen, aber auch die weißlich gebrochenen Farben ebenso wie die zum Teil abgeschnittenen geometrischen Formen beschreiben auf Erbens Weise die niederrheinische Landschaft. So scheinen Farben mit Namen versehen zu sein, mit denen sie im weitesten Sinne Klever Besucher assoziiert: Ziegeldachrot, Grasgrün, Weidengrün, Ackerbraun und Himmelgrau. Auch die Formen, die Walmdächer, vogelperspektivisch gesehene Landschaften, Wiesen und Bauernhöfe evozieren, weisen deutlich auf Charakteristika des Niederrheins hin.
Der für Erbens Arbeiten typische Schwebezustand zwischen Rationalität und Emotion, zwischen Wirklichkeit und Erinnerung, zwischen beherrschtem Kalkül und zugelassener Stimmung wird auch in dieser großen Arbeit deutlich. In der Mitte des Baumes stehend, eröffnet sich dem Betrachter ein Panoramabild, das von Osten bis Norden und von morgens bis abends reicht, Elemente der Himmelsrichtungen und Tageszeiten, die Erben mit farblicher Sensibilität in den vielschichtigen „Klever Raum“ einbringt, dessen Komplexität sich dem Betrachter erst allmählich mitteilt.
- Kat. d. Ausst. „Ulrich Erben: ‘Klever Raum’. Wandbilder für einen Salon im Haus Koekkoek“, hrsg. v. Städtischen Museum Haus Koekkoek Kleve aus Anlass der gleichnamigen Ausstellung (16. Oktober – 27. November 1988), Kleve 1988
- Kersting, Rita: „Für Kleve gewonnen 1987–1992“, mit einem Vorwort von Paul Kratz und einem Beitrag von Guido de Werd, hrsg. v. den Freunden des Städtischen Museums Haus Koekkoek Kleve e.V., Kleve 1992, S. 52, 54, Abb. S. 53, Nr. 34
- Kat. d. Ausst. „52 Werke aus der Sammlung des 20. Jahrhunderts“, bearb. v. Guido de Werd, Roland Mönig und Ursula Geißelbrecht-Capecki, hrsg. v. Freundeskreis Museum Kurhaus und Koekkoek-Haus Kleve e.V. aus Anlass der Eröffnung des Museum Kurhaus Kleve – Ewald Mataré-Sammlung am 18. April 1997, Kleve 1997, S. 24, Abb. S. 25
- Ulrich Erben, Bologna: Damiani editore 2010, Nr. 66f
- Auswahl- / Bestandskatalog „Mein Rasierspiegel – Von Holthuys bis Beuys“, hrsg. v. Guido de Werd im Auftrag des Freundeskreises Museum Kurhaus und Koekkoek-Haus Kleve e.V. aus Anlass der gleichnamigen Abschiedsausstellung des scheidenden Gründungsdirektors Guido de Werd im Museum Kurhaus Kleve (9. September 2012 – 13. Januar 2013), Kleve 2012, S. 221, Abb. S. 154f, Nr. 1.107
Bildmaß: 4 Leinwände je 282 x 135 cm
Bildmaß: 2 Leinwände je 282 x 70,6 cm