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Künstler*in: Hedwig Bollhagen

Lebensdaten: 1907–2001

Funktion: Keramikerin

Anzahl Werke: 37

Biographie

Eine Freundin der Familie, die Keramikerin Gertrud Kraut aus dem Töpferdorf Duingen führte sie an das Töpfern heran. Sie selbst kommentierte das einmal: „Es muss wohl eine angeborene Vorliebe gewesen sein, denn ich hatte schon immer gerne so getöpferte kleine Puppengeschirre gehabt. Da durfte eigentlich keiner mit spielen – außer ich selber.“

Nach dem Schulabschluss 1924 – sie absolvierte das Lyzeum in Hannover – musste sie feststellen, dass sie als Frau nicht so einfach in die Branche hineinkommen würde. In der kleinen hessischen Dorftöpferei von Groß Almerode konnte sie einige Monate lernen und mitarbeiten. Später, ab 1925, besuchte sie fünf Semester die Fachhochschule Höhr-Grenzhausen – bis heute ist der Ort im Westerwald mit verschiedenen Ausbildungs- und Forschungsstätten einer der bedeutendsten Keramikstandorte Deutschlands.

Schon zu Beginn der 20er Jahre kam sie in Kontakt mit Vertretern des Bauhauses, das neben anderen reformerischen Einflüssen ihre Formensprache prägte. Ihre „Wanderjahre“ verbrachte sie z. B. bei Wilhelm Kagel in Garmisch, bei der Hamelner Töpferei; die wichtigste Station jedoch war in in Velten-Vordamm bei Berlin, wohin sie 1927 zur Mitarbeit eingeladen worden war. Mit noch nicht einmal 20 Jahren war sie dort Leiterin der Malabteilung. Ihr Vorbild war bei der sparsamen Dekoration Theodor Bogler, der nach der Auflösung des Bauhauses ebenfalls von Harkort, dem Besitzer der Manufaktur, zur Mitarbeit gewonnen wurde. Mit dieser Aufgabe konnte sie sich nicht nur künstlerisch weiter erproben, sondern sie eignete sich auch organisatorische Fähigkeiten an. Hier wuchs ihr Interesse am gesamten Produktionsprozess und dessen Organisation.

Bald erkannte sie, dass unter den damaligen schlechten Wirtschaftsbedingungen künstlerische Einzelstücke nur schwer zu verkaufen sein würden. Sie entschied sich deshalb, einfaches Geschirr herzustellen, erschwinglich für alle. Serienmäßig hergestellte, preiswerte und formschöne Gebrauchskeramik – das war ihre Vorstellung, an der sie fortan festhielt.

Die junge Frau erwarb 1934 eine Keramik-Werkstatt in Marwitz bei Berlin. Besser: Sie fand mit Dr. Heinrich Schild den Helfer, der den juristischen und finanziellen Teil in die Hände nahm. Allerdings war Schild nicht nur Bollhagens väterlicher Freund, sondern auch führender Funktionär des „Reichsstandes des deutschen Handwerks“ und NSDAP-Mitglied. Die vorherige jüdische Besitzerin der Marwitzer Werkstätten, Margarethe Heymann-Loebenstein, hatte - nach einer Denunziation und wachsendem Druck seitens des NS-Regimes - den Betrieb aufgegeben und sah keinen anderen Ausweg, als einem Verkauf deutlich unter Wert zuzustimmen. Sie emigrierte nach England, versuchte dort einen künstlerischen und wirtschaftlichen Neuanfang, konnte aber nicht an den früheren Erfolg in Deutschland anknüpfen.

Am 1. Mai 1934 begann in Marwitz die Produktion mit etwa 35 MitarbeiterInnen. Die Verbindungen von Schild sicherten während der Kriegsjahre das Bestehen und damit Aufträge. Doch auch Bollhagens Arbeiter wurden an die Front geholt, der Absatz ging zurück. Den Vereinnahmungsversuchen der Nazis widerstand HB, wie sie von ihren MitarbeiterInnen seitdem immer genannt wurde, und blieb eigenen Gestaltungsansprüchen treu. Umstritten ist heute, welchen Anteil die Weiterverwendung der Loebenstein-Entwürfe (z.B das Geschirr „NORMA“– von einzelnen Teilen sogar bis in die 60er Jahre hinein –) am Erfolg von Hedwig Bollhagen hat.

Ihr „künstlerisches Gegenüber“ und Freund war in den 30er Jahren der Maler und Keramiker Charles Crodel. Die Nazis hatten ihn als Schöpfer „entarteter Kunst“ von der Hochschule Giebichenstein in Halle vertrieben. In Marwitz konnte er im Bereich der angewandten Künste weiter schöpferisch tätig sein. Gemeinsam erprobten Bollhagen und Crodel neue Techniken; seine Produktivität beflügelte sie. Crodel schuf seine Einzelstücke oft auf Formen, die HB zuvor entworfen hatte. Zum Beispiel stammt das berühmte Bienchenmuster, das bis heute produziert wird, von ihm.

In der Aufbauphase der DDR wurde in großen Massen Gebrauchsgeschirr hergestellt. Später litt der Betrieb, wie andere auch, unter dem Mangel an Brennstoff und sogar an Ton. Bis 1972 führte sie die Werkstätten allein, als privates Unternehmen. Sie verbrauchte z. B. in dieser Zeit ihre Lebensversicherung, um Löhne auszuzahlen. Hedwig Bollhagens Nachfolgerin als künstlerische Leiterin der Werkstatt, Heidi Manthey, meint zu dieser Zeit: „Das Geschäft hinkte.“ Andererseits wurde HB schnell zur bekanntesten Keramikerin des Landes, die in den 50er Jahren auch in Westeuropa ausstellte und ausgezeichnet wurde. Inzwischen gehörte auch die Denkmalpflege zum Angebot: von der Restaurierung des Klosters Chorin über das Rote Rathaus in Berlin bis hin zur Fassade des Anhalter-Bahnhofs reichten die Aufträge.

Mit dem Mauerbau 1961 begann eine Differenzierung der Keramik: Während in Westdeutschland Einzelstücke eine immer größere Rolle spielten, Funktionalität fast völlig in den Hintergrund trat, stellten Betriebe in der DDR weiter Tongefäße, Steingut oder Fayencen vor allem zum Gebrauch her. Gerade das Geschirr aus Marwitz wurde bald zur sogenannten Bückware, an die nur mit guten Beziehungen zu kommen war.

Mit der Verstaatlichung 1972 hätte HB eigentlich in Rente gehen können, aber sie arbeitete weiter. Es folgte ein vierjähriges Intermezzo der Zugehörigkeit zu einem Rheinsberger Hersteller. Das hieß zum Beispiel: Wochenlang nur Deckel zu herzustellen. Oder die Produktion in Tonnen abrechnen zu müssen, im Vergleich mit dem schweren Steingut aus Rheinsberg. 1976 wurden die Werkstätten Teil des Staatlichen Kunsthandels der DDR. Der wirtschaftliche Druck ließ nach, die gestalterische Freiheit war relativ groß. Überdies konnten zwei neue Öfen in Betrieb genommen werden. Heidi Manthey: „Das Geschäft hinkte jetzt besser.“ Probleme gab es immer wieder: Aus Tschechien erhielt man zwar Ton, aber nicht die erste Qualität, die ging in den Westen. Der dienstälteste Mitarbeiter, der gelernte Töpfer Günter Sens, heute in den 60ern, schätzte an seiner Chefin, dass sie in allen Fragen ansprechbar war. Auch an zwischenzeitlich eingesetzten Abteilungsleitern vorbei konnte nicht nur direkt mit ihr geredet, sondern auch gestritten werden.

Heidi Manthey erinnert sich an die Betriebsfeste als „die schönsten Feste, die ich je erlebt habe.“ Den MitarbeiterInnen brachte HB von ihren Westreisen HB-Zigaretten zu Weihnachten mit, oder auch gutes Werkzeug. Ein Pfefferkuchenhaus nach HB-Schnittmuster gehörte zum Weihnachtsfest.

1990 waren die Werkstätten Betriebsteil der Art Union GmbH, dem Nachfolger des DDR-Kunsthandels. Die Treuhandgesellschaft zahlte zwar die Löhne weiter – sonst aber nichts. Verschiedene „Freier“, so HB, standen vor der Tür, die wenigsten sagten ihr zu. Besonders schwer fiel es ihr, immer mehr Mitarbeiter*Innen entlassen zu müssen.

1992 gelang dann die Reprivatisierung, und Hedwig Bollhagen wurde mit 85 Jahren die wohl älteste Unternehmerin Deutschlands. In einem Jahr wurde der Umsatz wieder verdoppelt. Teller und Tassen fanden ihren Platz auch im anspruchsvollen Manufactum-Katalog. Das bedeute allerdings auch, die Preise zogen gewaltig an, so dass die eigenen Produkte heute von den Beschäftigten kaum gekauft werden können.
Am 8. Juni 2001 verstarb Hedwig Bollhagen in Marwitz. Beigesetzt ist sie in ihrem Geburtsort Hannover. Inzwischen sind ihre Entwürfe in vielen Museen der Welt und auch in dem ihr gewidmeten in Potsdam zu sehen.

Autobiographie

DIE KERAMIKERIN HEDWIG BOLLHAGEN ÜBER SICH SELBST
Im Jahre 1907 bin ich in Hannover geboren. Leider verlor ich meinen Vater schon, als ich drei Jahre alt war. Trotz des traurigen Schicksals gelang es meiner Mutter, meinen beiden Brüdern und mir eine sehr glückliche Kindheit zu bereiten. Wir spielten in einem schönen alten Garten, wo wir bastelten, Feste feierten und ohne Publikum allerlei Aufführungen machten. - Wohl war uns bewußt, daß zu derselben Zeit, in der wir so ungestört spielen durften, der schreckliche Krieg tobte, aber wir waren noch zu klein, um das tragische Geschehen wirklich ermessen zu können, wenn wir auch die Schatten, die die Kriegs­ereignisse warfen, empfanden. Die materiellen Entbehrungen, die sich ja wesentlich auch auf die Nach­kriegszeiten erstreckten, waren für uns, die wir kaum Vergleiche ziehen konnten, eigentlich ein Normal­zustand.
Unsere Mutter hatte viele geistige Interessen und versuchte auch in uns die Freuden daran zu wecken. Sie las uns oft vor, sah mit uns Bilder an und zeigte uns schöne Bauten, musizierte mit uns und be­mühte sich, unser Gefühl für Qualität zu entwickeln und uns zu lehren, das Echte vom Unwahren zu unterscheiden. (Das Wort „Kitsch“ gehörte schon früh in unsere Kindersprache und war uns ein sehr präziser Begriff.)
In einem Nachkriegswinter, in dem Kohlenferien und Grippeferien sich abwechselten, worüber wir na­türlich nicht traurig waren, wurde für einige befreundete Kinder und uns ein Kursus für Zeichnen, Basteln und Kunstbetrachtung von der sehr lebendigen Töpferin Gertrud Kraut eingerichtet, der späteren Be­gründerin der Hamelner Töpferei. In ihrer Begeisterung für die Töpferei, ihrer menschlichen Güte und Aufgeschlossenheit und heiteren Selbstbeherrschung ist mir Gertrud Kraut bis heute Beispiel und Vorbild.
Ich hatte damals schon längst eine besondere Vorliebe für Töpferwaren, sammelte kleines Puppen­geschirr aus Bauerntöpfereien, das es im nahen Hildesheim zu kaufen gab, und ging mit Begeisterung auf den sogenannten Pottmarkt an der Hannoverschen Marktkirche, wo braune Bunzlauer und blau­bemalte Westerwälder Töpfe in Mengen herumstanden. - So regte mich mein erster Besuch in der Töp­ferei von Gertrud Kraut in Hameln sehr auf, und obgleich ich noch viel Zeit hatte, über alle die Berufe, die zu ergreifen mich reizten, nachzudenken, stellte ich das Töpfern sogleich zur „engeren Wahl“ und bin dann also dabei geblieben.
Eine Stelle als Lehrling oder Volontär in einer Töpferei zu bekommen, war in der Zeit, in der sich Indu­strie und Handwerk on den Wirkungen des Krieges und den darauffolgenden Jahren noch nicht erholt hatten, sehr schwer. Ich fand die Möglichkeit, eine Zeitlang in einer kleinen Bauerntöpferei in Groß­almerode in Hessen zu arbeiten und machte dort meine ersten Drehversuche - mit Seufzern, die mir jeder Töpfer nachfühlen wird -, war aber sonst guter Dinge in dem mir so neuen Metier.
Man töpferte Geschirr für den Dorfgebrauch und, um eine regelmäßige Pfründe zu haben, hand­gedrehte (!) Salbentöpfe für einen Großhändler, der Apotheken belieferte und nur sehr geringe Preise zahlte. Es wurde sehr fleißig gearbeitet, und zwar ausschließlich von der Familie des Töpfermeisters, der mit seinem Sohn das Freidrehen verrichtete und von seinen fünf Töchtern alle übrigen Arbeiten machen ließ. Bei intensiver Zusammenarbeit konnte etwa alle Vierteljahre der Kasseler Ofen gebrannt werden, und der Ausfall des Brandes und die Verkaufsmöglichkeit der Ware bestimmten den Lebens­standard der Familie für die nächste Zeit.
Wenn ich mich tagsüber nach Meinung des Meisters genug mit Drehversuchen abgequält hatte, durfte ich mich nach 5 Uhr mit dem Maihörnchen befassen und nach meinem Belieben Teller und Schüsseln mit Engobe bemalen. Ich bekam nebenbei den ersten Begriff vom „zweckmäßigen Arbeitssitz und Ar­beitstisch“, denn der Meister fügte mir aus Schemeln, Kisten und Brettern einen Aufbau zusammen, der an Bequemlichkeit und sinnreicher Anpassung nichts zu wünschen übrigließ. Jeden Sonnabend nachmittag kam der Barbier, und der Meister, der sehr klein war, setzte sich auf den Drehscheibenkopf und wurde unter leichten Hin- und Herbewegungen der Drehscheiben für den Sonntag rasiert. Sonn­tags stellte die Familie sieben Singstimmen und einen Trompetenbläser für den Kirchenchor. Freundliche Verwandte in Kassel taten mich für einige Wintermonate als Gastschülerin auf die dortige Akademie. Ich mühte mich ein paar Wochen in der Bildhauerklasse, die Professor Vocke leitete, der gerade versuchte, auch eine Töpferei einzurichten. Ihn interessierten damals gerade Kannen mit Metallschnaupen. Seine Schüler waren fast ausschließlich Kriegsteilnehmer, die entweder aus der Bahn geworfen oder noch nie im Geleise gewesen waren. Ich glaube, daß nur wenige davon künstlerische Begabung besaßen. Es wurden wie üblich viele Wochen auf die Vorbereitung des Fastnachtfestes verwendet, die Bildhauer arbeiteten in der Stadthalle mit Feuerwehrleitern an einem Riesenmars, einem damals beliebten Thema, das auf den wohl gerade erdnahen Stern bezogen wurde. In unserem Falle aber ließ man Mars als Gott, der Kriegsruhe gedenkend, auf einer Trommel sitzen. Ich durfte an diesem Gefahren bietenden Mammutwerk, da ich das einzige Mädchen der Klasse war, nicht teilnehmen. So hatte ich wenig Gelegenheit zum Lernen, weil ich viel zu unselbständig war, auf eigene Faust in den ausgestorbenen Klassenräumen etwas zu probieren. Ich nahm am Aktzeichnen und an Kunst­geschichts-Vorlesungen, soweit sie nicht auch ausfielen, teil und hatte Zeit, die sehr schönen Kasseler Sammlungen in Galerie und Museum anzusehen. Nach diesen etwas programmlosen Wochen, die mich bedrückten, zog ich 1925 mit wahrer Begeisterung nach Höhr im Westerwald ins Kannenbecker Land, wo ich in der Keramischen Fachschule unter Dr. Berdel und Dr. Bollenbach meine theoretische Aus­bildung erhielt. Die Schule, die heute wohl die modernste und vielseitigste keramische Fachschule Deutschlands ist, war schon damals in ihren chemischen und technischen Abteilungen recht gut, aber, im Gegensatz zu heute, in den sogenannten „künstlerischen“ Fächern wie Modellieren und Malen der­artig undiskutabel, daß man sich so wenig wie nur irgendmöglich in diesen wirklich verderblichen Klassen aufhielt, in denen heute zum Teil ausgezeichnete Kräfte lehren.
Nach Absolvierung von fünf Fachschul-Semestern und Ferien-Volontärzeiten in einem kleinen Industrie­betrieb und in der Töpferei von Gertrud Kraut in Hameln, hatte ich am Ende meiner Fachschulzeit etwa die Kenntnisse, die eine Laborantin als Anfängerin in einen keramischen Betrieb mitzubringen hat. Obgleich id1 sehr gern Gebrauchsgeschirr machen wollte, war ich nicht dazu gekommen, mich hierin zu üben, da, wie gesagt, das Schulniveau in diesen Fächern unbefriedigend war.
Ich hatte das Glück, direkt nach meiner Fachschulzeit 1927 in die Steingutfabrik Velten-Vordamm von Dr. Harkort eintreten zu können und eine Tätigkeit zu beginnen, die für meine ganze Arbeit bis zum heutigen Tage bestimmend war. Durch die intensive Schaffensfreude Dr. Harkorts, seine große Liebe zur Keramik, seinen vorurteilslosen Optimismus und sein Wissen war die Fabrik sicher einer der leben­digsten, vielseitigsten und interessantesten deutschen keramischen Betriebe seiner Zeit. Man machte Gebrauchsgeschirr aus Steingut und Fayence, Garten- und Baukeramik, Stapelware für den Export und Einzelstücke von Bildhauern und Malern.
Ich verdanke dem Vertrauen und der Geduld Dr. Harkorts sehr viel, der mich als Leiterin der Malerei­abteilung, die damals 100 Maimädchen beschäftigte, und als Entwerferin einstellt. trotzdem er wußte, daß ich bisher in diesen Dingen nicht ausgebildet, aber, wie er hoffte, auch nicht verbildet war. Ich brachte zu dieser Tätigkeit, die ich in Höhr nicht geübt hatte, nichts mit als große Lust, denn es fehlte mir jede praktische und menschliche Erfahrung im Betrieb. Die Volontärzeiten fielen wenig ins Gewicht.
Das Steingut mit seiner reichen Unterglasurpalette und die Fayencetechnik mit der schönen Weichheit der Pinselstriche waren in Velten-Vordamm durch die unbeschreiblich begabte Charlotte Hartmann noch einmal zu ihrer wahren Geltung gekommen. Die Fülle ihrer Ideen und die wirklich geniale Fähigkeit, traditionelle Formen und Dekors aufzugreifen und in neuer Frische hervorzubringen, mußten den ernstesten Dekorgegner entwaffnen.
Eine ganze Reihe von Künstlern wurde von Dr. Harkort herangezogen: Gerhard Marks hat sich ver­schiedentlich in dem Werk mit Plastiken und Malereien beschäftigt, zwei seiner Schüler aus der Dornburger Bauhaustöpferei, Theodor Bogler und der Schweizer Werner Burri, arbeiteten jahrelang für die Fabrik, sowohl Einzelstücke als auch Serienentwürfe. Charles Crodel malte dort seine ersten keramischen Kamine und Platten.
Ich war glücklich, viele dieser schöpferischen und eigenwilligen Menschen kennenzulernen, mir Maß­stäbe zu bilden und zu versuchen, mich danach auszurichten.
Ich bemühte mich, die Maitechnik der Steingut- und Fayence-Produktion zu üben, und mit der allmäh­lich enstehenden Routine, den Pinsel zu gebrauchen, gelangen mir einige Dekors geometrischer Grund­elemente, aus den Vokabeln zusammengesetzt, die den Malereiarbeiterinnen geläufig waren. Es inter­essierte mich sehr, Gebrauchsgeschirr zu machen, das billig in den Handel kommen konnte und dadurch dem Käufer die Möglichkeit bot, von den wirklich sehr geschmacklosen, verlogenen Geschirren, die die Porzellan- und Steingutindustrie auf den Markt brachte, abzurücken. Ich malte auch Einzelstücke, modellierte, drehte und entwarf Serienformen. Es entstanden manche Dinge, die mich verlegen machen, wenn ich heute an sie denke, aber ich habe an allem gelernt. - Vervielfältigungsverfahren in der De­korierung, z. 8. Schablone und Abziehbild, beschäftigten mich ernst in der Oberlegung, daß diese Tech­niken, sofern eine ihnen gemäße Form zu finden wäre, die nicht darauf aus ist, Handarbeit vorzu­täuschen, durchaus ihre Berechtigung haben.
Bei all der Vielfalt der Verzierungsmöglichkeiten wuchs meine Vorliebe für weißes, undekoriertes Fayencegeschirr, bei dem der rosa Scherben durch die weißdeckende Zinnglasur wie durch eine Haut hindurchscheint. Für diese Dinge, die auch Dr. Harkort sehr schätzte, wurde damals leider von der Einkäuferschaft nicht viel Interesse aufgebracht. Erst als ich später meine eigene Werkstatt hatte, riskierte ich den Versuch, fayenceweiße, unbemalte Geschirre und Gefäße in größeren Mengen herzu­stellen, und es glückte mir, sie mit Erfolg anzubieten.
Da ich mich schon in der Steingutfabrik Velten-Vordamm für den gesamten Ablauf der Herstellung sehr interessierte, befaßte ich mich auch mit organisatorischen Arbeiten, insbesondere mit Arbeitszeit­studien zur Akkordpreisbildung und bemühte mich, auf diesem Gebiet um die Auffindung einer ge­sunden Basis, Normen festzustellen.
Aus wirtschaftlichen Gründen mußte das Werk auch Stapelware für den Export herstellen, wobei die Wünsche der Kunden berücksichtigt werden sollten. Dieses war meist nur mit Kompromissen zu lösen, in der Bemühung, das kleinste übel herauszufinden, wenn beispielsweise eine Konservenbüchsen­manschette vom Auslandskunden eingeschickt wurde, deren Pfirsich-Darstellung auf Kompottschüsseln übertragen werden sollte, die zu Tausenden bestellt wurden. Als 1931 die Zollschranken, die um die interessierten Länder gelegt wurden, den Export schlagartig unmöglich machten, mußte die Steingut­fabrik Velten-Vordamm, wie so viele andere Werke, leider ihre Pforten schließen, und einer der in der keramischen Entwicklung als Kulturträger so wichtigen Betriebe ging verloren.
Im stillen den Wunsch nach einer eigenen Werkstatt hegend, ging ich auf die Wanderschaft, um mög­lichst viele Betriebe kennenzulernen und Erfahrungen zu sammeln. Ich arbeitete zunächst in der Majolika-Manufaktur Karlsruhe. Ihr standen vielseitige Techniken und Möglichkeiten zu Gebote, unter der damals noch nicht so fernen Wirkung Leäugers, der allerdings schon eine Zeitlang nicht mehr direkt mit der Manufaktur zusammenarbeitete, und es fehlte dadurch leider dort eine aktive Persönlichkeit, die, wie in Velten Dr. Harkort, so bestimmend, produktiv und anregend auf die Mitarbeiter wirkte.
Ich arbeitete dann kurze Zeit in einem Werk von Rosenthal in Neustadt bei Coburg, wo wenig erfreu­liche Dinge fabriziert wurden, und einen schönen Ski-Winter lang in Partenkirchen, in der Werkstatt von Wilhelm Kogel.
Ich lernte durch gute und noch mehr durch schlechte Beispiele zu werten. Die Begegnung mit mensch­licher Oualität und Schwäche im umgekehrten Verhältnis zu Güte und Mangelhaftigkeit der Produk­tion erstaunte mich oft. Die nettesten Menschen sah ich scheußliche Dinge fabrizieren und schlechten die schönsten Stücke gelingen. Auch sah ich mit den besten Produktionsmitteln Schlechtes entstehen und in primitiven Verhältnissen Gutes gestaltet.
Eine Zeit, die ganz aus den Rahmen meiner bisherigen Tätigkeit fiel, verbrachte ich während eines reichlichen halben Jahres in einer Verkaufsausstellung handwerklich und industriell hergestellten Ge­brauchsgutes - Möbel, Stoffe, Schmuck und Silber-, die Tilly Prill-Schloemann in Berlin ins Leben rief und mehrere Jahre als eigenes Unternehmen fortführte. Die Räume mit den vielen Schaufenstern, direkt zur Zooseite und zur Budapester Straße, waren ein außergewöhnlich guter Rahmen für das Gezeigte und unterschieden sich auffallend von fragwürdigen Kunstgewerbegeschäften. Ich hatte Gelegenheit, Material- und Qualitätsgefühl und Kenntnisse zu erwerben. Auch war es sehr amüsant, aus der ge­gebenen Perspektive das Gebaren und die Psychologie des Kunden zu beobachten. Ich hatte viele schöne Keramiken, z. B. von Leäuger, von Dreßler, Douglas-Hill, Margrit Friedländer, Lindig und anderen zu betreuen und zu verkaufen.
Meinem eigentlichen Ziele nachgehend, wandte ich mich aber bald wieder der Töpferei zu und nahm die erste Stelle, die sich mir bot, in Frechen bei Köln an, einem Ort, wo einst schönstes rheinisches Steinzeug gemacht wurde. Nun fabrizierte man in riesengroßen Salzöfen Röhren in allen möglichen Abmessungen mit schöner brauner Salzglasur. Außerdem wurde in der Herstellung von sogenannter „Kunstkeramik“ und Devotionalien, die in niedrig brennenden Ofen gebrannt wurden, gesündigt. Es gab die verschie­densten Heiligen in allen Größen und kitschigster Gestaltung in erheblichen Auflagen, was die ganze Abwegigkeit dieser Art der Produktion „religiöser Bedarfsartikel“ klarmachte. Es ist nicht zu übersehen, daß in vielen Gegenden tatsächlich ein echter Bedarf für diese Dinge besteht, und es ist zweifellos sehr schwer, gute oder wenigstens tragbare Formen dafür zu finden. Einige literarische Arbeiten über Sym­bole und ihre Zeichen scheinen mir noch am ehesten solche Wege zu zeigen.
Meine Tätigkeit in dem Betrieb beschränkte sich zunächst auf Dekorentwürfe und ihre Anwendung, später wurde ich Betriebsassistentin und habe viel über die technischen Zusammenhänge des Produk­tionsablaufes gelernt.
Im Streben, nun bald selbständig zu töpfern, streckte ich meine Fühler aus, um eine geeignete Möglich­keit zu finden. Es wurde in der Nähe Berlins eine kleine, nicht mehr in Betrieb befindliche Töpferei zum Verkauf bzw. zur Pacht angeboten, die früher schöne wertvolle Einzelstücke gemacht hatte. Alle Be­triebsmittel, bis auf eine Muffel, waren jedoch bereits entfernt worden. Außerdem sollte ein ziemlich großer, ebenfalls seit einem Jahr stilliegender keramischer Betrieb, der früher etwa 60-80 Arbeiter beschäftigte, verkauft werden, und zwar in Marwitz bei Velten, dem keramischen Klima, das mir früher sd1on so gut getan hatte. Er bot mir die verlockende Aussicht, mein Programm „Gebrauchsgeschirr“ durchzuführen.
Allein wagte ich einen Start nicht, denn ich hatte gerade so viel gelernt, daß ich einigermaßen beurteilen konnte, was ich nich t wußte. Das Wissen um geringe Kenntnisse in einem vielseitigen Gebiet steigert sich ja unaufhörlich in dem Maße, in dem man Einblick darin bekommt, und ist dem Fortgeschrittenen bewußter als dem Anfänger.
Ich stand nun vor dem Scheidewege und bekam von Freunden und Verwandten viele gute Ratschläge, doch ja nicht ein so großes anspruchsvolles Unternehmen, wie Marwitz es sein würde, zu riskieren, sondern lieber im kleinen Rahmen zu bleiben. Ich selbst kam aber nach vielen Oberlegungen immer wieder zu der Ansicht, daß in einer wirtschaftlich schwierigen Zeit wie damals der Verkauf von serien­mäßig hergestellter preiswerter Gebrauchskeramik, die mir vorschwebte, leichter sei, als für teure Einzelstücke Liebhaber zu finden, die Geld hatten, solche zu kaufen. Auch fühlte ich mich handwerk­lich nicht sicher genug, in einer kleinen Werkstatt, die eventuell als Ein-Mann-Betrieb begonnen werden mußte, zu bestehen, da ich doch in den vorherigen Jahren hauptsächlich in Industriebetrieben ge­arbeitet hatte, wo ich zwar zum Malen, aber verhältnismäßig wenig zum Drehen gekommen war.
In Marwitz zeigten sich für mich günstige Arbeitsmöglichkeiten. Erstens erbot sich Dr. Heinrich Schild, in seinem Hauptberuf Volkswirt und Handwerkspolitiker, mir als Teilhaber zu helfen und alle finanz­
technischen, juristischen und kaufmännischen Funktionen zu übernehmen, die zur Gründung und Fort­
führung eines solchen Betriebes nötig sind. Zweitens stand der alte erfahrene Velten-Vordammer Be­
triebsleiter Wojak zur Verfügung, der bereits auch in Marwitz eine Zeitlang die technische Führung ge­habt hatte. So fand ich unter diesen Voraussetzungen den Mut zu beginnen. Wir nannten die Firma
.,HB-Werkstätten für Keramik“, da ich meine Arbeiten schon früher mit „HB“ bezeichnet hatte. Der Mar­witzer Betrieb hatte sich „Hael-Werkstätten für künstlerische Keramik“ genannt. Wesentlich war für mich, daß auch einige Dreher und mehrere der besten Steingut- und Fayence-Malerinnen der früheren Steingutfabrik Velten-Vordamm bereit waren, in der neuen Firma mitzuarbeiten.
Am 1. Mai 1934 fing ich mit der Arbeit in Marwitz an. Ich beeilte mich zunächst, die noch vorhandenen …
gelernt, mich weitestgehend danach zu strecken und mit den vorhandenen Möglichkeiten weiterzu­arbeiten. Es sind wieder schöne Crodelsche Dinge entstanden.
Baukeramisch habe ich· mich an umfangreiche Objekte gewagt und nach Entwürfen von Waldemar Grzimek große Reliefplatten und Bauelemente gemacht. Hier hoffe ich noch auf Weiterführung der be­gonnenen Versuche.
Es macht mir Freude, auch einige jüngere Künstler zur Mitarbeit heranzuziehen oder ihnen Gelegen­heit zu geben, keramisch zu wirken. So hat die junge Erika Manthey eine ganze Reihe Einzelstücke und auch gemalte Baukeramik in meiner Werkstatt hergestellt, und der sehr einfallsreiche junge Bildhauer Jürgen von Woyski versucht sich hier gelegentlich keramisch.
So gern ich mich bemühe, im Zusammenwirken mit Anderen Arbeiten auszuführen, die es mir wert scheinen, so ungern mag ich als eine „Anstalt“ angesehen werden, die alle baukeramischen Objekte, die ihrer technischen Kapazität entsprechen, herzustellen hat, ohne ihre eigene Meinung über die Qualität des Entwurfes entscheiden lassen zu dürfen.
In meinen Entwürfen für Formen von Gefäßen versuche ich, immer sparsamere Mittel anzuwenden. -Ich bemühe mich, der „Form ohne Ornament“ die Ehre· zu geben, die. ihr gebührt, riskiere aber auch, Formen zu probieren, die durch einen Dekor gesteigert und bereichert werden wollen. Die Anstre·ngung führt zwar nur selten zum Erfolg, und wenn man durch alle die scheußlichen Dekors der keramischen Industrie und des Handwerks geneigt sein mag, den Dekor schlechthin zu verwünschen, so steht dem­gegenüber die Forderung nach dieser Art des Spiels von Menschen aller Zeiten und aller Erdteile in zahllosen Beispielen vor uns.
Die Aufgaben, die eine verhältnismäßig große Werkstatt, wie die meine es ist, stellt, sind so vielseitig, daß man alle Kräfte aufbieten muß, ihnen wenigstens einigermaßen gerecht zu werden. Das Thema, nämlich Dinge herzustellen, die erfreuen, sollte jedoch eigentlich einen allzu bitteren Ernst in der Kraftanwendung ausschließen. Das Anliegen, sich dabei menschlich zu bewähren in einem Kreis von über 60 Mitarbeitern, bleibt bei allem das Dringendste aber auch das Schwerste. Der Wille, sich in die Lage seines Nächsten zu versetzen und von seinem Standpunkt· aus zu fühlen, erleichtert es, ihn zu lieben, und täglich tritt diese Forderung im Zusammenwirken mit einem großen Menschenkreis an jeden heran.
So verlockend auch die weiten Gebiete meines Handwerks sind, so wichtig finde ich es, sich seiner eigenen Grenzen darin bewußt zu sein. Dies muß nicht dahin führen, daß die Arbeiten einseitig und manieriert werden. Das Wagnis, in leichtfertigem Optimismus Aufgaben zu übernehmen, zu denen die Kapazität nicht ausreicht, führt unweigerlich auf Abwege. Ich glaube, die vielen Möglichkeiten, sein eigenes Feld zu bestellen, führen an den Versuchungen vorbei, sich an Aufgaben zu wagen, denen man nicht gewachsen ist.