Das Lieblingskunstwerk der ukrainischen Jung-Künstlerin Anastasiia Chaban

Im September 2023 initiierte der Freundeskreis Museum Kurhaus und Koekkoek-Haus Kleve e.V. die Aktion „Mein Lieblingsbild“, der zum 1. Europäischen Tag der Museumsfreunde startete (weitere Infos ->hier). Bislang beteiligt haben sich zahlreiche Mitglieder und Ehrenamtliche des Vereins, die interessante Texte und ungeahnte Schilderungen wiedergegeben haben. Aus dem Museum Kurhaus Kleve wurde die aus der Ukraine stammende Schülerin und angehende Künstlerin Anastasiia Chaban gebeten, ihr Lieblingskunstwerk zu beschreiben. Die junge, 19-jährige Frau traf eine ungewöhnliche Auswahl, die sie wie wie folgt begründete:

Mein Lieblingskunstwerk im Museum Kurhaus Kleve

Geschrieben von Anastasiia Chaban im September 2023, im Zuge ihres wissenschaftlichen Praktikums im Museum Kurhaus Kleve

Tacita Dean, „Darmstädter Werkblock“, 2008
8 Farb-Gravüren auf Somerset 300gr, je 495 x 655 mm
Museum Kurhaus Kleve – Dauerleihgabe des Freundeskreises Museum Kurhaus und Koekkoek-Haus Kleve e.V., erworben mit Unterstützung der Kunststiftung NRW
Inv. Nr. 2009-VI-II a-h

  • Über die Künstlerin

Die vielseitige Tacita Dean (geboren 1965 in England) macht Filme, Photos, Collagen und Zeichnungen. Ihre Arbeit finde ich absolut einzigartig, da sie mit ihren Kunstwerken Zeit und Geschichte beobachtet. Zufälligkeit ist ihr Werkzeug. Ihre Arbeit ist durchdrungen von Fragen zum Kulturverlust. Sie beschäftigt sich z.B. mit dem Wechsel von der analogen Photographie und dem analogen Film zur Digitalität. 

Tacita Dean studierte an der Falmouth Universität und erhielt 1992 einen Master-Abschluss an der Slade School of Fine Arts. Zu ihren bekanntesten Werken zählen u.a. die Filme „Disappearance at Sea“ (1996) und „Green Ray“ (2001). 

Sie lebt und arbeitet in Berlin, Deutschland. Ihre Werke befinden sich in den Sammlungen des Museum of Modern Art in New York, der Tate Gallery in London, des Reina Sofia National Museum in Madrid und des Hirshhorn Museum and Sculpture Garden in Washington, D.C.

  • Über das Kunstwerk

Wenn an mich die Aufgabe gestellt wird, das Kunstwerk zu nennen, das mir im Museum Kurhaus Kleve am besten gefällt, möchte ich nach einiger Bedenkzeit und einem Rundgang durch das Museum Kurhaus Kleve nennen: Tacita Dean, „Darmstädter Werkblock“. Warum spricht mich dieses 8-teilige Kunstwerk mit seiner spröden Oberfläche an?
 
Dafür gibt es viele Gründe. Einerseits sprechen mich seine ästhetischen Komponenten an, aber auch seine Farbkombination. Ich finde, diese Photographien hauchen einer Idee Leben ein. Sie machen mich aber gleichzeitig auch ein wenig traurig, wenn ich sie betrachte. Denn als ich mich über die Entstehungsgeschichte dieser Arbeit informierte, wurde mir klar, warum. Denn das Kunstwerk ist eine Reminiszenz an einen anderen Künstler, es steht in direktem Zusammenhang mit der Kreativität von Joseph Beuys. Daher möchte ich meine Ausführungen mit einem kurzen Bericht über ihn fortsetzen: 

Joseph Beuys wurde 1921 laut Wikipedia in Krefeld geboren, aber meine Ansprechperson im Museum Kurhaus Kleve, Valentina Vlašić, berichtete mir, dass er selbst sagte, dass er in Kleve geboren wurde. Von 1927 bis 1940 ging er in Kleve zur Grundschule und später zum Staatlichen Gymnasium. 1941 absolvierte er (als er in exakt meinem Alter war – auch ich bin gerade 19 Jahre alt) eine Ausbildung zum Funker, nachdem er sich freiwillig zur Deutschen Luftwaffe gemeldet hatte. 1945 geriet er in britische Gefangenschaft, aus der er freigelassen wurde und wonach er nach Kleve zurückkehrte. Diese Kriegsereignisse wirkten sich sicherlich stark auf seinen Geisteszustand aus, er kriegte Depressionen und es ging ihm öfters nicht gut. Er suchte seine Rettung in der Kunst. In Kleve suchte er die Nähe zu dem älteren Künstler Hanns Lamers, später studierte er in Düsseldorf Malerei und Bildhauerei an der Kunstakademie, wo er später von 1961 bis 1972 sogar eine Professur innehatte. 1959 heiratete er Eva Wurmbach, mit der er zwei Kinder bekam. Es gibt über Beuys so viel zu sagen, was ich heute noch nicht verstehe (z.B. seine Performances bei Alfred Schmela 1961 oder in New York, „I like America and America likes me“), aber das spielt für dieses Kunstwerk für den Moment vielleicht keine Rolle. 

Ich möchte vielmehr seine Arbeit im Hessischen Landesmuseum Darmstadt erwähnen, in der sich der größte authentische Komplex seiner Werke befindet, die er dort selbst zwischen den Jahren 1949 bis 1972 installiert hat. Joseph Beuys schuf ca. 290 Kunstwerke, die dort in sieben Räumen gezeigt werden. Dabei schuf er Kunst aus allem, was ihn umgab, und platzierte sie dort, wo sie theoretisch überhaupt nicht sein sollte. Dieser riesige Komplex gibt Auskunft über alles, was Joseph Beuys ausmachte: sein Denken, seine Biographie, die von ihm verwendeten Materialien und mehr. 

Tacita Dean zeigt durch ihre Arbeit „Darmstädter Werkblock“ ihren großen Respekt vor Beuys‘ Arbeit. Sie selbst sagt: „Alle Dinge, von denen ich angezogen bin, befinden sich in einem Stadion des Verschwindens“. Das trifft außerordentlich für diese Arbeit zu. In den Nullerjahren beschloss das Hessische Landesmuseum in Darmstatt, Restaurierungsarbeiten in den Räumen von Beuys vorzunehmen, wodurch viele Kleinigkeiten, die Beuys womöglich absichtlich hinterlassen hatte und die so von ihm angedacht waren, verschwunden sind. Tacita Dean photographierte Details seiner Großinstallation, um dadurch präzise in Erinnerung zu behalten, wie die Situation VOR dem Restaurierungseingriff war. Der Wert ihrer Photos besteht darin, dass sie die Authentizität von Joseph Beuys’ Kunst bewahren. Sie hat damit für uns die Zeit angehalten. Mit ihrer Arbeit teilt sie ihren persönlichen Blick auf diese Arbeit mit uns allen und zeigt, was die Aufrichtigkeit der Kunst ist und wie sie sich manifestieren kann. 

Was mich an ihrer Arbeit berührt, ist ihr Wunsch nach Aufrichtigkeit und Authentizität.

Weitere Informationen über Anastasiia Chaban sind ->hier nachzulesen.