Neuerwerbung der sechsteiligen Holzschnitt-Serie „Gelber Enzian“ von Franz Gertsch

Mit essentieller Unterstützung des Ministeriums für Kultur und Wissenschaften des Landes Nordrhein-Westfalen konnte der Freundeskreis Museum Kurhaus und Koekkoek-Haus Kleve e.V. im Mai 2021 sechs Holzschnitte von Franz Gertsch (*1930 Mörigen, Schweiz) für die Sammlung des Museum Kurhaus Kleve erwerben, der als wichtigster zeitgenössischer Maler und Druckgraphiker der Schweiz gilt und für seine photorealistischen Naturstudien und Frauenporträts weltweites Renommee genießt. 

Die Werke von Franz Gertsch nehmen einen besonderen Stellenwert in der Sammlung des Museum Kurhaus Kleve ein, das bereits einen überwältigenden Bestand seiner Arbeiten besitzt, wozu u.a. derart ikonische Werke wie „Schwarzwasser II. (Triptychon)“ oder „Silvia II.“ gehören.

Die sechs Neuerwerbungen befanden sich bereits seit 17 Jahren als Dauerleihgaben aus Privatbesitz im Museum Kurhaus Kleve, die in dieser Zeit als geradezu festes Repertoire der Klever Sammlung empfunden und u.a. 2012 im Bestandskatalog „Mein Rasierspiegel“ vorgestellt worden sind. Die sechs Holzschnitte „Gelber Enzian“ wurden von einer Lindenholzplatte auf handgeschöpftem Kumohadamashi-Japanpapier von Ivano Heizaburo handabgezogenen. Sie weisen ein Bildmaß von 690 x 560 mm und ein Blattmaß von 890 x 720 mm auf. Die Fassungen in Sepia, Zinnober und Olivgrün sind in einer Auflage von 14 Exemplaren (zzgl. 5 a.p.) erschienen, die Fassungen in Blau, Türkis und Gelb in einer Auflage von 10 Exemplaren (zzgl. 5 a.p.). 

Dank der Unterstützung des Ministeriums konnte der Freundeskreis der Klever Museen die sechs Werke nun dauerhaft für das Museum Kurhaus Kleve sichern, da die Arbeiten von Gertsch eine identitätsstiftende Verbindung mit dem Klever Ort und der Museumsarchitektur eingehen. Seine Holzschnitte besitzen eine meditative Qualität und strahlen eine Nachdenklichkeit aus, die der von Walter Nikkels geschaffenen und geradezu klösterlich anmutenden Museumsarchitektur kongenial entspricht. Bei der Betrachtung seiner Landschaften aus Gebirgsbächen und riesenhaft vergrößerten Pflanzen wie Pestwurzen oder Enzianen, die wie moderne Repliken auf die Gartenanlagen des Johann Moritz von Nassau Siegen im 17. Jahrhundert vor der Tür des Museums anmuten, scheint die Zeit stillzustehen.

Die Reihe „Gelber Enzian“ ist insofern auch wichtig für die Klever Sammlung, da Gertsch seine Holzschnitte i.d.R. nur in einer einzigen Farbe druckt, so dass jedes Exemplar Unikatcharakter erhält. Im Vergleich mit den weiteren monumentalen Holzschnitten in der Sammlung stellt „Gelber Enzian“ die einzige kleinformatige Reihe dar, die wie für die intimen Kabinette im Klever Museum gemacht ist.

Franz Gertsch selbst erzählt die ungewöhnliche Motivfindung der Serie „Gelber Enzian“ wie folgt:

Die nachfolgenden Zeilen berichten, wie es dazu kam, dass eine Schönheit, die sonst nur auf den Alpen anzutreffen ist, mir in ihrer wunderbaren Nacktheit, einige Schritte vom Haus entfernt, am Waldrand, Modell gestanden ist. Es sind Jahre vergangen, als Maria, meine Frau, und mich ein blauer Septembermorgen von unglaublicher Klarheit verführte, eine Bergwanderung zu unternehmen. Nach steilem Aufstieg gelangten wir auf eine fast ebene Alp. Berauscht von den Düften der Alpenflora, die uns ein säuselnder Talwind um die Nase wehte, verzehrten wir auf einem Felsbrocken unser Picknick. Da vernahmen wir plötzlich, eingebettet ins Rauschen des Windes, ein Stimmchen. Verwundert schauten wir in die Richtung, von wo es zu kommen schien und entdeckten ganz in der Nähe eine gelb blühende Pflanze mit um einen kräftigen, runden Stiel symmetrisch angeordneten, rautenförmigen und fächerartig gefalteten Blättern, von der das leise Flüstern zu kommen schien. Wir traten an sie heran und zuerst ich, dann Maria, hielten unsere Ohren ganz dicht an den oberen Blätterkranz. Und beide vernahmen wir die gleiche Botschaft: ‘Nehmt mich mit!’ Es versteht sich, dass wir total verblüfft waren. Doch als wir endlich wieder zur Besinnung kamen, überlegten wir, was zu tun sei. Bald wurde uns klar, sie konnte nicht meinen, dass wir sie abschneiden und zu Hause in eine Vase stellen sollten, wo sie jämmerlich dahinwelken würde. Nein, sie möchte eine Bleibe in unserem Garten finden. Warum sie von unserem Umschwung wusste und woher überhaupt ihr Wunsch um Versetzung kam, sei dahingestellt. Wie dem auch sei – Maria hatte ein kleines Taschenmesser bei sich und fing nun an, mühsam damit die Wunderpflanze auszugraben. Wie wir sie dann unversehrt noch zu uns nach Hause brachten, habe ich vergessen. Wahr ist, dass meine Frau sie noch am gleichen Abend am Saum unseres Wäldchens einpflanzte. Im folgenden Frühling brachte die Arme nur zwei Blätterstockwerke zustande. Uns wurde bewusst, dass ihr neues Zuhause, im Schatten der Bäume und umringt von wuchernden Pflanzennachbarn, kein idealer Ort ist. Zwar habe ich in den folgenden Jahren dafür gesorgt, dass die umliegenden Farne, Erdbeeren, Ahornstäbe und Schattengräser ihr nicht zu nahe traten, indem ich diese ausriss. Trotzdem blieb ein schlechtes Gewissen, nichts Besseres für sie getan zu haben. Da wollte es der Zufall, dass Freunde, die die gleiche Alpenwanderung unternahmen, wie wir damals, berichteten, man habe die schöne Bergflorawiese mit einer Jauche aus einem Heli berieselt, um sie in eine saftige Weide für Kühe zu verwandeln. Nun wurde uns klar, das Zuflüstern unserer Schönen war ein Notruf. Aber wie war das nur möglich, dass ein Pflanzenwesen zu einer so unglaublichen Vorausahnung fähig war? – Ja und überhaupt, unsere Enzianprinzessin (wie ich sie fortan nannte)! Denn einige Jahre später, an einem Sonntag, als ich den Waldrandpfad entlang schritt, stand sie dunkelgrün und hoch gewachsen vor mir. Und da flüsterte sie zum letzten Mal: ‘Male mich!’ Gemalt habe ich sie nicht, aber ich habe sie vorläufig in einem kleinen Holzschnitt verewigt. So bewahrheitete sich wieder einmal mehr, dass ich meine Modelle direkt vor der Haustür finde.