Neu in der Sammlung aus dem Nachlass Gerard Lemmens: Golgotafelsen mit Totenkopf von Ferdinand Langenberg

Im Februar 2023 erhielt der Freundeskreis Museum Kurhaus und Koekkoek-Haus Kleve e.V. für die Sammlung im Museum Kurhaus Kleve aus dem Nachlass von Gerard Lemmens (zu Informationen über die Person siehe hier) eine einzigartige Schenkung, die aus der bekannten Sammlung Ferdinand Langenberg und im Anschluss aus der Sammlung Dr. Adolf Helfer in seinen Besitz gelangt ist.

Wäre der Totenkopf nicht, könnte es sich bei der vorliegenden Skulptur um ein geradezu zeitgenössisches abstraktes Schnitzwerk handeln. Der Totenkopf allerdings, die Form des Gebildes und der leere Schlitz auf der Oberseite ermöglichen jedoch eine konkrete Zuschreibung – die auf einen Golgotafelsen. Die autarke Erhöhung erhält durch die zahlreichen rhythmischen Schnitzungen, die kahlen Felsen veranschaulichen sollen, einen landschaftlichen Aspekt. Zentral dargestellt ist der Totenschädel, der unterschiedlich interpretiert wird – sowohl als Schädel Adams als auch als Schädel der Verurteilten, die an dieser legendären Stelle gestorben sein sollen.  

Der „Golgotafelsen“ oder „Kalvarienberg“ („kalvaria“ ist die lateinische Übersetzung des aramäischen Wortes „Golgota“, die „Schädel“ bedeutet) stellt die Hinrichtungsstätte Jesu Christi dar, die sich außerhalb der Stadtmauern Jerusalems befunden haben soll, so dass Passanten der Hinrichtung beiwohnen konnten. Er wurde im Laufe der Jahrhunderte verändert und im 11. Jahrhundert wieder künstlich errichtet, um Feiern des Kreuzigungsopfers Christi am ursprünglichen Ort zu ermöglichen. Lag der Felsen in der Spätantike noch unter freiem Himmel, wurde er im 11. Jahrhundert in seinen gesamten Ausmaßen in einen Seitenflügel der Grabeskirche integriert. 

Bei der vorliegenden Skulptur fehlt bedauerlicherweise das Kreuz mit dem gekreuzigten Jesu Christi, für das auf der Oberseite der Skulptur ein Schlitz eingelassen ist. Wurde Christus laut Überlieferung zusammen mit den beiden Verbrechern hingerichtet, sind vorliegend keine Hinweise auf weitere Möglichkeiten der Kreuzespräsentation zu finden. Überhaupt fehlen alle anderen, ansonsten oft dargestellten Elemente der Kreuzigung: u.a. gaffende Schaulustige, Soldaten oder die durch den Tod ihres Sohnes zusammenbrechende Maria Muttergottes, die von ihren beiden Schwestern Maria Salome und Maria Kleophas begleitet wird. Das Bildwerk ist ganz auf die zentrale Motivik des gekreuzigten Christus hin ausgerichtet – und erhält durch das Fehlen des besagten Kreuzes eine eigentümliche Präsenz, die ihrem Daseinszweck enthoben zu sein scheint, aber trotzdem nicht einer gewissen Dynamik entbehrt. 

Das Schnitzwerk entspricht dem Stil der spätgotischen Skulpturen um 1500 am Niederrhein, ist jedoch zweifelsfrei um 1900 entstanden – durch den neugotischen Bildhauer Ferdinand Langenberg in Goch, der einer der besten Kenner mittelalterlicher Bildhauerei am Niederrhein war und sich mit seiner Werkstatt u.a. auf die „Verschönerung“, Neuinterpretation oder Restaurierung alter Werke spezialisiert hat. Der Mentalität um 1900 entsprechend, ersetzte er in vielen Kirchen des Niederrheins (z.B. im Xantener Dom) mit seinen Eigenkreationen zahlreiche Originale, mit denen er sich anschließend mitunter sogar bezahlen ließ. Dadurch gelang es Langenberg, eine beeindruckende Schausammlung anzulegen, die zu den bedeutendsten am Niederrhein zählte und die hohe Qualität dieser Epoche gesammelt wiederspiegeln konnte. Zahlreiche Werke seiner Sammlung befinden sich heute im Besitz des Museum Kurhaus Kleve (siehe „Verknüpfte Objekte“), kaum eines aus seiner eigenen Hand – wodurch das vorliegende Werk abermals eine interessante Bedeutung erhält.