Derick und Jan Baegert: die zwei spektakulären Digitalisate der Altäre von Vater und Sohn gehen in die Klever Sammlung ein

Im Zentrum der großen Mittelalter-Retrospektive „Schönheit & Verzückung. Jan Baegert und die Malerei des Mittelalters“ (24.03. – 23.06.2024) im Museum Kurhaus Kleve standen zwei Hauptwerke von Jan Baegert, von denen heute bedauerlicherweise nur noch Fragmente erhalten sind: der Passionsaltar und der Marienaltar. Bei ihnen handelte es sich um die Höhepunkte im Œuvre des mittelalterlichen Meisters. Um Besucher*innen einen Eindruck der ursprünglichen Opulenz des Passionsaltars zu ermöglichen, fertigte das Museum Kurhaus Kleve Digitalisate zweier Passionsaltäre an, die die Motivik, den Bildaufbau und das Kolorit des zerstörten Meisterwerks besitzen. Nach Ablauf der Ausstellung gehen nun beide Digitalisate dieser Altäre in die Sammlung des Museum Kurhaus Kleve ein. 

Das eindrucksvolle Digitalisat des Hochaltar-Retabels von Jan Baegerts Vater Derick bildete den inoffiziellen Höhepunkt der Ausstellung. Auf der Mitteltafel der Feiertagsseite, die fast vier Meter breit ist, finden sich zahlreiche für Kleve wichtige Details: Dort sind nicht nur zwei Klever Grafen und Herzöge hoch zu Ross dargestellt (Graf Adolf I. von Kleve-Mark und Herzog Johann I. von Kleve), sondern auch eine der ältesten Darstellungen der Klever Schwanenburg. Derick Baegert präsentierte sich auf dieser Tafel selbstbewusst im Selbstporträt (rechts oberhalb der Heiligen Veronika, die das Schweißtuch hält) – und zwar knapp 25 Jahre bevor Dürer sein bedeutendes Selbstporträt fertigte.

Die vielfigurige Massenszene enthält zahlreiche Haupt- und Nebenszenen, Simultan- und Zeitebenen. Christus als Gekreuzigter nimmt das Zentrum ein, ist zeitgleich aber im linken Hintergrund noch beim Reiterzug aus Jerusalem zu sehen sowie im rechten Hintergrund bei der Kreuzabnahme, Beweinung und Grablegung. Im Vordergrund bricht seine Mutter Maria unter dem Kreuz zusammen, gehalten von Johannes und Maria Salomé. Maria Magdalena umgreift in Agonie den Kreuzesbalken. Vermutlich nahezu identisch verhält sich der Bildaufbau bei Jan Baegerts vermutetem Meisterwerk des Passionsaltars – und anhand der ungemein hohen Qualität der Fragmente ist zu vermuten, dass Jan Baegert dabei seinen Vater Derick vermutlich bei weitem übertroffen hat.

Doch während Derick Baegert das Glück hatte, dass sein Altar seit fast 550 Jahren an ein- und demselben Ort – nämlich der Propsteikirche St. Johannes Baptist in Dortmund – steht, ist beim Passionsaltar des Jan Baegert nichts bekannt – weder der Auftraggeber, noch der Standort oder der Zeitpunkt der Zerstörung. Es konnten lediglich 9 Fragmente in 6 unterschiedlichen Museen identifiziert werden, die in der Klever Ausstellung erstmals überhaupt zusammenhängend präsentiert wurden. Da essentielle Teile nach wie vor fehlen – beispielsweise konnte bislang kein einziges Fragment des Gekreuzigten selbst entdeckt und zugeschrieben werden – griff das Klever Museum auf das moderate Mittel zurück, den Besucher*innen die volle Opulenz der mittelalterlichen Arbeit durch das Digitalisat des Dortmunder Hochaltars des Vaters zu veranschaulichen – eine Rechnung, die nach den Resonanzen der Besucher*innen voll aufgegangen ist. Die Qualität des durch die Julius Fröbus GmbH angefertigten Digitalisats des Hochaltars überzeugte voll und ganz. 

Um sich nicht nur auf die Arbeit des Vaters zu konzentrieren und auch das einzige Altarretabel von Jan Baegert zu zeigen, das noch heute der ursprünglichen Intention des Künstlers entspricht, ließ das Museum Kurhaus Kleve auch den sogenannten „Cappenberger Altar“ als Digitalisat anfertigen. Er weist abermals dieselbe Szenerie – eine vielfigurige Kreuzigung mit u.a. Reiterzug, Kreuzabnahme und Beweinung etc. – auf. Er ist geradezu idealtypisch für die Bildsprache Jan Baegerts mit seinen properen Gesichtern, runden Körperformen, modischen Kleidungsstücken und mehr. Er ist auch insofern von Bedeutung, da er Jan Baegert über 80 Jahre lang den Notnamen „Meister des Cappenberger Altars“ einbrachte, der ihm sogar noch heute anhängt. So bezeichnet ihn beispielsweise die National Gallery in London nach wie vor auf diese Weise und nennt seinen Namen lediglich in Klammern, ergänzt um ein Fragezeichen. 

Beide Digitalisate, die in enger Absprache mit den Eigentümern erstellt wurden – der Propsteikirche St. Johannes Baptist in Dortmund und der Stiftskirche Schloss Cappenberg in Selm –, gehen nun in die Sammlung des Museum Kurhaus Kleve ein, wo sie den Bestand der originalen Kunstwerke der niederrheinischen Malerei trefflich ergänzen. Präsentiert oder ausgeliehen werden dürfen sie nur nach Zustimmung der Eigentümer, die für jeden Anlass neu eingeholt werden muss. 

[Valentina Vlašić]