
Maler*in (Ausführung): Franz Gertsch (1930–2022)
Künstlertitel: Maria mit den Kindern
Datierung: 1971 (Herstellung)
Museum: Museum Kurhaus Kleve
Typ: Kunstwerk
Gattung: Gemälde
Inventar Nr.: 2002-10-06
Franz Gertsch hat als Künstler das Museum Kurhaus Kleve seit seiner ersten großen Einzelausstellung 1999 geprägt. Immer wieder wurde sein Werk in unterschiedlichen Zusammenhängen gezeigt, vor allem, weil mehrere seiner monumentalen Werke in die Sammlung des Museums eingegangen sind.
Am Anfang des gültigen malerischen Œuvres von Franz Gertsch stehen seine großformatigen Bilder der Berner Kunst- und Jugendszene, akribisch nach Photographien gemalt in einem gewaltigen Blow-Up. Kompositorisch wurden diese Bilder bestimmt durch den Zufall der photographischen Vorlage, meist durch farbige Polaroids. Gertsch kümmerte sich hier nicht um akademische Kompositionsregeln. Seine Bilder der 1970er-Jahre gelten heute als ein wesentlicher Beitrag zur Kunst dieser Zeit. 1972 erlangte Gertsch allgemeine Bekanntheit, als Jean-Christophe Ammann, als Kurator zuständig für die Malerei auf der „documenta V.“, Gertschs monumentales Gemälde „Medici“ (1972, Ludwig Forum Aachen) in einem Raum mit den frühen photorealistischen Bildern Gerhard Richters präsentierte, und zwar in einer Abteilung, die dem amerikanischen Photorealismus gewidmet war. Das Bild zeigt eine Gruppe von fünf Jugendlichen, die ohne Interesse am Photographen (und späterem Maler) amüsiert über einen Zaun der Baufirma „medici“ (wovon der rätselhafte Titel herrührt) schaut.
Neben Szenenbildern sind es auch Familienbilder, die Gertsch zu dieser Zeit beschäftigen. Aus dieser Phase des Schaffens, aus diesem Neubeginn, entstammt auch das Riesenformat „Maria mit den Kindern“ (1971), ein Porträt der eigenen Familie, das sich seit zwanzig Jahren als Dauerleihgabe des Künstlers in der Sammlung des Museums befindet. Die photographische Vorlage dafür entstand bei einem Familienausflug auf den Chasseral. Hier zeigt sich, dass Gertsch dem Zufall Raum gibt: Das Gesicht der ältesten Tochter Hannelore rechts ist einfach quer angeschnitten. Das Gemälde ist auf ungrundierter Leinwand gemalt, Punkt vor Punkt. Durch das Absorbieren der Farbe durch die Leinwand entsteht eine besondere farbliche Dichte. Als Gertsch diese Bilder erstmals zeigte, wurden Vergleiche mit den pointilistisch gemalten Bildern von Georges Seurat gezogen, vor allem mit „La Grande Jatte“ (1886, Art Institute Chicago), das auch durch das Thema, das Freizeitvergnügen, sich hier einreiht.
In den 1980er-Jahren gibt Gertsch das Thema der Szenen- und Familienbilder auf. Er konzentriert sich nun auf großformatige Frauenporträts, die er als Gesichtslandschaften umreißt. Auch diese Porträts werden zu Ikonen eines Jahrzehnts. So schmückte 2021 das Bildnis „Irene“ (1980, Olbricht Collection) Plakat und Katalogumschlag der großen Ausstellung über die 1980er-Jahre in der Wiener Albertina. Gertsch umschrieb diese an sich nüchtern konzipierten Porträts als reine Malerei, die sich entfaltenden Haarpartien verstand er als „das Malen eines Birkenwäldchens“ und die Augen als „das Malen eines Sees“.
Mitte der 1980er-Jahre gab Gertsch schließlich das Malen auf. Er konzentrierte sich nun auf den Holzschnitt, dem er ein neues Kapitel hinzufügte. In ebenso monumentaler Größe schuf er auf besonderem Japan-Papier Porträts und Naturszenen, vor allem aus der unmittelbaren Umgebung seines Wohnortes Rüschegg im Berner Oberland. Die Technik dieser Holzschnitte war nicht weniger aufwendig als die der Malerei der letzten Porträts, für die er meist ein Jahr Arbeit brauchte, eine Zeitspanne, die für das Schaffen eines Künstlers sehr ungewöhnlich ist. In der Sammlung des Museums befindet sich eine ganze Reihe dieser Holzschnitte. Neben dem Triptychon „Schwarzwasser II.“ (1993–94) dürfen hier beispielhaft „Pestwurz“ (1993) und „Pestwurz ›Ausblick‹“ (2004–05) genannt werden.
Den Höhepunkt in der Sammlung bildet das 2000 entstandene großformatige Bildnis „Silvia II.“, eine junge Frau, die Gertsch zwischen 1998 und 2004 dreimal malte. Bei dem Modell handelt es sich um eine junge Frau aus dem ländlichen Raum, die Maria Gertsch, der Ehefrau des Künstlers, zufällig begegnet war. In den drei Porträts variiert Gertsch die Haltung der Frau, einmal frontal („Silvia I.“, Museum Franz Gertsch Burgdorf), einmal von rechts in den Raum schauend („Silvia II.“) und schließlich einmal von oben herabschauend („Silvia III.“, Kunsthaus Zürich). Auch die Hintergrundfarben wechseln, von einem leichten Blau über ein zartes, entrücktes Blau bis hin zu einem dunklen Grund. Gertsch betrachtet hier die Malerei konzeptionell. Haut, Leibchen und Hintergrund bilden bei „Silvia II.“ eine Demonstration purer Malerei, virtuos, tiefgründig, traditionsreich und in der Gegenwart zuhause, aufbauend auf einer Tradition, die bis in die Renaissance zurückreicht.
So erklärt sich, dass der niederländische Maler Jan Andriesse immer voller Bewunderung über dieses Bild als den „Botticelli-Gertsch“ sprach.
- Angelika Affentranger-Kirchrath, Franz Gertsch. Die Magie des Realen, Wabern/Bern 2004, Abb. 41
- Franz Gertsch. Die Retrospektive, Ostfildern-Ruit 2005, Abb. S. 104f, Nr. 15
- Auswahl- / Bestandskatalog „Mein Rasierspiegel – Von Holthuys bis Beuys“, hrsg. v. Guido de Werd im Auftrag des Freundeskreises Museum Kurhaus und Koekkoek-Haus Kleve e.V. aus Anlass der gleichnamigen Abschiedsausstellung des scheidenden Gründungsdirektors Guido de Werd im Museum Kurhaus Kleve (9. September 2012 – 13. Januar 2013), Kleve 2012, S. 218, Abb. S.164f, Nr. 1.78
- Kat. d. Ausst. „Schatzhaus und Labor – 25 Jahre Museum Kurhaus Kleve“, bearb. v. Valentina Vlašić, hrsg. v. Freundeskreis Museum Kurhaus und Koekkoek-Haus Kleve e.V. aus Anlass der gleichnamigen Ausstellung im Museum Kurhaus Kleve (23. Juli 2022 – 29. Januar 2023), Kleve 2022, S. 68ff, Abb. S. 70, Nr. 139
- Franz Gertsch. Die Siebziger, 21.03.2020 - 16.08.2020